Donnerstag, 5. Februar 2015

Offensive ohne Charme

Die diplomatische Initiative des französischen Präsidenten Hollande und der deutschen Bundeskanzlerin Merkel begann mit einer totalen Übertreibung. Denn Hollande sprach von der Möglichkeit eines »totalen Kriegs« im Osten der Ukraine. Dabei hat man sich einfach nur zu sehr in seine eigenen Legenden verstrickt, besonders hinsichtlich der russischen Beteiligung und des Einsatzes von regulären Truppen der Russischen Föderation oder der Behauptung, die Bevölkerungsmehrheit im Donbass stünde nicht auf der pro-russischen Seite. Eine russische Unterstützung zu leugnen, käme mir nicht in den Sinn, aber sie derart überspitzt darzustellen und die Welt an den Rand eines möglichen, aber unwahrscheinlichen 3. Weltkriegs zu schwätzen, kann nur einer wirren Macht- und Interessenpolitik des US-geführten ›Westens‹ geschuldet sein. Denn zumindest im ›Osten‹ will niemand einen Krieg.

Überhaupt: Nach Bedarf immer mal wieder die Opfer des Krieges politisch zu vereinnahmen wirkt beinahe grotesk, zumal während des sogenannten Waffenstilstands ständig in die aufständischen Städte hinein gefeuert wurde, was zahlreiche Menschen tötete, verstümmelte und verletzte, ohne dass es im ›Westen‹ einen Aufschrei gab. Schuld waren sowieso immer die Russen. Immerhin, eine bekannte Vertreterin des ›Westens‹, Madeleine Albright, fand dermaleinst den Tod von 500.000 irakischen Kindern vertretbar, wenn es um die Verbreitung von westlichen Werten geht. Ganz so viele wurden es zwar nicht, aber nach neuesten Schätzungen kostete der Irakkrieg bis zu 600.000 Todesopfer. Die Nachwirkungen einer fehlgeleiteten Politik, wie der IS-Terror, sind darin nicht mal enthalten. Und plötzlich zählen Opfer?

Der Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung im Donbass hat nicht den erwarteten und gewünschten Effekt gebracht: nämlich ein Umschwenken der Mehrheitsmeinung im Donbass gegen Russland und die pro-russischen Kräfte. Noch immer wendet die Mehrheit der Bevölkerung sich nicht gegen die Milizen, in denen man die eigenen Leute sieht, sondern es wird verlangt, dass Poroschenkos Truppen abziehen. Hier immer wieder Einzelne zu bemühen, die dann vor einer ›westlichen‹ Kamera angeben, pro-ukrainisch zu sein und von zwei Freunden unterstützt zu werden, aber gleichzeitig leise am Rande einzuräumen, dass mindestens zwanzig andere Freunde eine gegenteilige Ansicht vertreten, ist albern und führt zu verzerrten Wahrnehmungen.

Dass nun inmitten eines Krieges nicht täglich Hunderttausende fahnenschwenkend durch den Donbass laufen, ist verständlich und mit dem Rudelverhalten des Menschen begründbar. Während jeder Revolution (oder Konterrevolution) wird stets nur ein Anteil von maximal 20 Prozent einer Bevölkerung persönlich aktiv, meist sogar weit weniger, doch eben dies lässt keinen Schluss auf die Haltung der übrigen Menschen zu. Gerade auch in Deutschland entspricht mittlerweile die veröffentlichte Meinung höchst selten der öffentlichen Meinung.

Was könnte nun am Ende der Initiative stehen? Bislang gab es solche Initiativen immer dann, wenn Europas neuer Freund Poroschenko und seine ›Antiterror-Helden‹ in Bedrängnis gerieten. Zeitlich ist es auch diesmal nicht anders. Die neurussischen Milizen erzielen gerade kleine Erfolge, die ukrainische Armee ruft panisch nach Nato-Waffen. Wieder wird der russische Bär als Schreckgespenst an die Wand gemalt und wieder müssen der ›Westen‹ und die eigentlich arbeitslose Nato die Welt retten. Natürlich ganz uneigennützig.

Was immer Frau Merkel und Herr Hollande im Gepäck haben, kann den Interessen und Forderungen der Mehrheit im Donbass nicht gerecht werden. Hier einige Varianten und Optionen:

a) M&H werden die Beibehaltung der diplomatischen Kontakte zu Russland anstreben, ohne aber ein konkretes Angebot unterbreiten zu können, das allen Beteiligten die Gesichtswahrung ermöglicht. Denn jedes Interesse Russlands und der Donbass-Republiken steht den Wünschen der USA und der EU entgegen. Kern der Gespräche wird »die territoriale Integrität der Ukraine« sein. Die pro-russischen Kräfte lehnen eine Rückkehr in einen gemeinsamen ukrainischen Staat strikt ab.

b) Eine Option wäre das Einfrieren des Konflikts, ähnlich wie in Transnistrien. Dies würde bedeuten, dass der Donbass in einem rechtlosen und unsicheren Status dahinschwebt. Völlig offen bliebe die Zugehörigkeit der Krim. Nur ein Narr wird von der russischen Seite das Aufgeben der Halbinsel erwarten.

c) Der Donbass ist wirtschaftlich gesehen das Filetstück der Ukraine. Hier ballen sich ganze Branchen, wie der Bergbau und die Schwerindustrie. Etwa die Hälfte der Minen befinden sich in den Gebieten, die von den Milizen kontrolliert werden. Da die Fracking-Firmen der USA bereits in den Startlöchern stehen, wird man kaum auf den Donbass verzichten wollen.

d) Die pro-russischen Akteure werden lieber weiterkämpfen, als sich mit den gegenwärtig kontrollierten Gebieten abspeisen zu lassen. Sie bestehen auf die beiden Regionen Donezk und Lugansk in ihren früheren Umrissen. Die Fortsetzung des Kampfes ist für die beiden Republiken weniger riskant als für Poroschenko, der ziemlich erfolglos agiert und den wachsenden Druck der eigenen Bevölkerung zu spüren bekommt - aus mehreren Richtungen. Was können H&M also anbieten? Auf jeden Fall zu wenig.

Wir sehen uns einer Remis-Situation gegenüber. Poroschenko kann nicht einfach den Donbass in die Souveränität entlassen, ohne von seinen faschistischen und ultranationalistischen ›Freunden‹ gestürzt zu werden, kann den Krieg aber auch nicht ewig fortsetzen, ohne die Unterstützung der friedliebenden Ukrainer zu verlieren. Die pro-russische Seite wird sich allerdings nicht unterwerfen. Vermutlich will sie angesichts ihrer taktischen Vorteile und Gebietszuwächse derzeitig nicht einmal über einen Waffenstillstand reden. Denn beim letzten Versuch büßten sie einige Vorteile ein und sahen sich anschließend einer noch größeren Übermacht gegenüber.

Was können Merkel und Hollande also bewirken? Ein wenig mehr als gar nichts, wenn es gut läuft. Vielleicht ist eine kurze Feuerpause drin, um die Toten zu begraben. Die europäische und amerikanische Politik zählt nichts in Donezk und Lugansk. Die Menschen dort haben ihre eigenen Vorstellungen, wohin sie gehören und nach welchen Regeln und Werten sie leben wollen. Daran können ausländische Regierungschefs rein gar nichts ändern. Schon gar keine mit Frau Tymoschenko befreundete Deutsche, die mit der Nato in Richtung Russland droht und generell einen anti-russischen Kurs fährt.

Ich kann mir nicht helfen, aber ich fürchte, manche Regenten bzw. Herrschenden stellen ihre Ansprüche auf globale Führung über die Interessen der eigenen und anderer Völker. So sollen bspw. die Kurden zwar den Terrorismus des IS stoppen, aber wenn es um einen eigenen Kurdenstaat geht, werden sie umgehend enttäuscht. Manchmal frage ich mich, ob das Völkerrecht das Recht eines Staates auf ein Volk ist, oder das Recht eines Volkes auf einen Staat - oder zumindest auf ein unabhängiges, eigenes Verwaltungsgebiet.

Mit diesen Gedanken wünsche ich einen schönen Abend.

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