Donnerstag, 26. November 2015

Eine Rekonstruktion

Vor einigen Jahren, ziemlich am Anfang des Bürgerkriegs in Syrien, konnte man noch relativ gefahrlos von der türkischen Wirtschaftsmetropole Gaziantep über das türkische Kilis und das syrische Azaz nach Aleppo reisen. Später wurde diese Strecke gleichsam zum Fluchtweg syrischer Zivilisten gen Norden wie auch zur Versorgungsroute moderater und radikaler Aufständischer in den Süden.

In diesem Bereich griff die russische Luftwaffe am 26. November einen Versorgungskonvoi der islamischen Extremisten im Gebiet um Azaz an. Möglicherweise war es auch die syrische Luftwaffe. Genaues weiß man noch nicht. Zwanzig Fahrzeuge wurden zerstört, sieben Islamisten getötet, zehn weitere verletzt. Die türkische Seite spricht von einem Hilfskonvoi für Zivilisten; wir werden sehen.

Auch gestern gab es in diesem Gebiet militärische Aktivitäten. Eines der eingesetzten Flugzeuge, ein Frontbomber vom Typ Suchoi Su-24 unter dem Kommando von Oberstleutnant Peshkov, wurde auf dem Rückflug zur russischen Basis Latakia nahe der syrisch-türkischen Grenze von einem türkischen Jagdflugzeug abgeschossen.

Während Russland die Verletzung des türkischen Luftraums dementiert und entsprechende Vorwürfe zurückweist, behauptet die Türkei, das russische Flugzeug hätte sich fünf Minuten lang im türkischen Luftraum aufgehalten und sei zehn Mal gewarnt worden. Der überlebende russische Navigator, Hauptmann Murachtin, weist dies zurück.

Mag sein, dass die russische Maschine an einem entlegenen Zipfel die türkische Grenze ‹geschrammt› hat (siehe Karte). Dies würde die erwähnten siebzehn Sekunden Aufenthalt über türkischem Territorium erklären, von denen anfangs die Rede war. Es bleibt allerdings eine nicht beweisbare Vermutung und ist nur der Versuch einer Rekonstruktion. Der Abschuss des Flugzeugs wäre dennoch eine völlig überzogene Reaktion gewesen. Möglicherweise stellte die Attacke sogar einen Hinterhalt dar, als eine Racheaktion für die Behinderung des Nachschubs aus der Türkei für militante Kämpfer in Syrien.

karte su24.JPG

Wäre die Su-24 gemäß der türkischen Darstellung fünf Minuten lang im türkischen Luftraum unterwegs gewesen, so hätte sie eine Strecke von rund 75 bis 125 Kilometer zurückgelegt. Diesen Unsinn, mit Verlaub, behaupten jedoch nicht einmal die türkischen Behörden.

Einzig gegen die russische Darstellung spricht die Sucht von im Schwarm agierenden, minderbegabten ‹Experten› in Politik und Medien zur Darstellung Russlands als globalen Aggressor. Die BILD-Schlagzeile »Putin attackiert die Türkei« gehört zu den traurigen Höhepunkten der allgegenwärtigen Russophobie. Aggressiv verhielt hat sich in dieser Angelegenheit indes allein die Türkei - im Nachhinein mit dem Rückhalt des politischen Westens und dessen Anführers Obama sowie der um den eigenen Existenzsinn kämpfenden NATO.

Diese und andere Ungerechtigkeiten, mit denen ein Land wie Russland durch gezielte Provokationen, unbeweisbare Unterstellungen und falsche Darstellungen in die Isolation getrieben werden soll, sind die tatsächlichen Triebkräfte für eine gespaltene Welt und einen neuen kalten Krieg. Oder perspektivisch einen heißen. Auch wenn gern das Gegenteil behauptet wird: Einzig die Besonnenheit des Kreml hat bislang Schlimmeres verhindert.

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