Samstag, 11. Oktober 2014

Der erwachende Bär (1)

Einen Satz voran gestellt: Tapferkeit ist keine Frage der ›richtigen‹ oder ›falschen‹ Seite, sondern eine persönliche Tugend, die man hat - oder eben nicht. Bevor ich mich also der Antwort auf die Frage, weshalb die russischen Streitkräfte im Jahr 2020 zu den besten der Welt gehören werden, widmen möchte, sei eine Episode aus den Auseinandersetzungen im Donbass erzählt, die nicht ganz ohne Bedeutung für die Zukunft der russischen Armee sein dürfte. Es geht um Wille und Entschlossenheit.

Zu Beginn des bewaffneten Konflikts ragten die von den pro-russischen Kräften gehaltenen Städte Slawjansk und Kramatorsk wie ein gen Nordwesten erhobener Finger in das von den Gegnern kontrollierte Gebiet hinein. Die Miliz der beiden Städte und deren Umgebung bestand aus weniger als 1.000 Mann mit sechs durch Überläufer mitgebrachten Schützenpanzerwagen. Das Kommando hatte der Oberst des russischen Militärnachrichtendienstes GRU, Igor Strelkow alias Igor Girkin.

Eingeschlossen in ihren Stellungen und vom Nachschub abgeriegelt waren sie von mehr als 15.000 Mann mit 160 Panzern, 230 Schützenpanzerwagen, 150 Artilleriesystemen und 20 Hubschraubern umzingelt. Zwei Monate lang hielt die Strelkow-Brigade den heftigen Attacken stand, dann entschloss sie sich zum Rückzug nach Donezk, um sich mit den dortigen Kämpfern zu vereinen. Auf dem Rückzug durch vom Gegner besetztes Gebiet verlor Strelkows Miliz keine vierzig Mann und nur wenige, meist zivile Fahrzeuge. Die meisten Gefallenen müssen zudem der aus Freiwilligen bestehenden Nachhut zugeordnet werden, die sich - bewusst - opferte, um vom Rückzug der Brigade abzulenken, indem sie weiterhin Widerstand leistete.

Dass Strelkow dennoch geschasst wurde, beruht auf dem Zwist zwischen politischer und militärischer Führung in den beiden ›Volksrepubliken‹ (in diesem Fall Donezk). Die Politiker fürchten den charismatischen Offizier Strelkow, die Militärführer hingegen wünschen seine Rückkehr.

Weshalb schreibe ich das jetzt? Weil die Kampfmoral ebenso entscheidend ist über Sieg und Niederlage, wie die Mannstärke, die Bewaffnung und die Ausstattung.

Auch in Bezug auf die Modernisierung der russischen Streitkräfte muss man feststellen, dass der russische Bär erwacht ist und 85 Prozent der Russinnen und Russen hinter der Politik ihres Präsidenten stehen - trotz der Aussicht auf Schwierigkeiten und Entbehrungen.

Beachtet werden muss auch das Bild des Soldaten in Russland, eines Berufsstandes, der seit der Zarenzeit traditionell hoch angesehen ist. Militärischen Führern wird in der Regel häufig auch die Ausübung einer herausragenden zivilen Position zugetraut. Anders als im heutigen Deutschland ist das Militär nicht das Stiefkind der Nation, sondern von enormer Bedeutung, und die Sehnsucht nach neuer Größe Russlands in der Welt schreit förmlich nach der Erfüllung.

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Wie wenig Russland verstanden wird und wie stark Nebensächlichkeiten aufgeplustert werden, zeigt sich an der Person Strelkow. Denn die Frage, wie er heißt oder was er ist, ist zwar für Möchtegern-Strategen wichtig, spielt aber für den weiteren Verlauf der Geschichte keine Rolle. Wenn diese Namensfrage als große Offenbarung langjähriger Russland-Experten gilt, kann man als Journalist genauso gut von sibirischen Ess- und Trinkgewohnheiten berichten.

Aber gut, ich gebe mal den ›Ukraine-Kenner‹ ;-) Der pro-westliche Milizenführer Semen Semenschenko heißt eigentlich Konstantin Grishin. Im Gegensatz zu Strelkow/Girkin ist Semenschenko/Grishin allerdings ein militärischer Dilettant, der seine Miliz, das Bataillon ›Donbass‹, beinahe komplett verheizt hat. Und das ist in einem bewaffneten Konflikt wirklich von Bedeutung.

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