Donnerstag, 18. Dezember 2014

Aleksei Mozgovoy - Rebell und Visionär

Seit dem Beginn der Ukraine-Krise im Winter 2013/14 ist der Kiewer Euromaidan in aller Munde. Dass es daneben einen Antimaidan gab, ist weit weniger bekannt geworden. Letzterer war nur einige Häuserblocks von seinem Gegenpart entfernt. Hier trafen die Unterstützer des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch zusammen, hauptsächlich die Anhänger der Partei der Regionen, verschiedene Gruppierungen aus allen neun Oblasts des historischen Neurusslands, die Donkosaken und weitere pro-russische Organisationen und Einzelpersonen. Nach dem Sturz des gewählten Präsidenten stieg auf dem Antimaidan ein Mann auf die Barrikaden und hielt eine flammende Rede. Sein Name: Aleksei Borisovich Mozgovoy.

Obwohl es sich um einen der wichtigsten Protagonisten des Konflikts auf der pro-russischen Seite handelt, ist der Name Mozgovoy wohl nur wenigen Leserinnen und Lesern ein Begriff. Kurz zu seiner Biografie vor dem Ausbruch der Krise: Aleksei Mozgovoy, gebürtiger Donkosak, wurde im Jahr 1975 im Rayon Svatovskiy, Oblast Lugansk, geboren. Er diente sieben Jahre als Kontraktsoldat in den ukrainischen Streitkräften, arbeitete als Metallarbeiter und Konstrukteur, zuletzt war er Koch in der russischen Metropole Sankt Petersburg. Daneben war er Solist des Svatovye-Kosaken-Chores. Zu Beginn der Krise kehrte er umgehend in die Ukraine zurück und wurde zu einem der Organisatoren des Antimaidan. Über seine Vita redet der Kosak nur selten. »Mein Leben hat erst jetzt begonnen«, so Mozgovoy bedeutsam.

Nach dem Sturz des Präsidenten verließ Aleksei Mozgovoy die ukrainische Hauptstadt. In Lugansk bildete er die erste Miliz. Er war einer der wenigen Menschen, die vom Übergang der Unruhen zu einem bewaffneten Konflikt sehr früh überzeugt waren. Aus der Miliz wurde das Mechanisierte Bataillon ›Prizrak‹ mit knapp 1.000 Angehörigen. Die ironische Bezeichnung ›Prizrak‹ (Gespenst) wählte der Verband selbst, da er von den ukrainischen Militärbehörden und Medien mehrfach totgesagt wurde, obwohl es nur rund 40 Mann an Verlusten zu beklagen gab.

Heute ist das Bataillon zur Brigade mit etwa 2.000 Kämpfern angewachsen. Das Hauptquartier befindet sich in der Stadt Alchevsk. Anfangs unterstellte sich Mozgovoy dem Militärchef von Donezk, dem russischen Oberst d. R. Igor Strelkov. Zum Bestand der Brigade gehören u.a. die Bataillone ›Prizrak‹, ›Aleksander Newski‹ und ›Jermak‹, ein humanitäres Bataillon und eine Einheit, in der 15- bis 17-jährige Freiwillige zusammengefasst sind. Letztere werden, ähnlich der russischen Suvorov-Schüler, zwar militärisch ausgebildet, aber nicht in den Kampf geschickt. Dies hat in Russland nach wie vor Tradition.

Wie für einen Kosaken obligatorisch, gehört der bekennende Christ Mozgovoy der orthodoxen Kirche an. Er gilt als streng im Glauben. Unlängst initiierte er eine Prozession mit der Ikone der Gottesmutter von Tichwin, die der Legende nach vom Evangelisten Lukas noch zu Lebzeiten Marias gemalt wurde. Tichwin ist übrigens der Geburtsort des bekannten russischen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow.

Aleksei Mozgovoy gilt im Donbass als ein Mann des Volkes. Das Ergebnis einer Umfrage setzte ihn - neben Igor Strelkov - an die Spitze der Menschen, denen man die Lösung der Krise und eine führende Rolle im künftigen Neurussland zutrauen würde. Der Zulauf zu seinem Verband ist ungebrochen stark. In seinen Einheiten dienen vorwiegend ukrainische Staatsbürger, aber auch einige Freiwillige aus Russland, Serbien, Frankreich, Tschechien, Brasilien und weiteren Ländern. Und für die Donkosaken ist der Donbass ohnehin Teil ihrer angestammten Heimat. Dieser Heimatbegriff hat auch für Mozgovoy eine hohe Bedeutung, wenngleich er seine Nationalität mit ›Mensch‹ angibt.

Die Brigade ›Prizrak‹ und deren Kommandeur legen größten Wert auf ein gutes Einvernehmen mit der Bevölkerung des Donbass. Mit hohem Aufwand versorgt der Verband die Zivilbevölkerung bestmöglich mit Nahrungsmitteln und wichtigen Gütern, betreibt einige Suppenküchen und unterstützt mehrere Schulen und Heime in der Stadt Alchevsk und deren Umgebung. Der Kommandeur agiert mit väterlicher Strenge, und während man den mittelgroßen und stämmigen Mann meist mit einem ernsten und beherrschten Blick sieht, umspielt im Beisein von Kindern ein gütiges Lächeln seinen Mund. Er ist den Menschen zugeneigt, stellt aber Anforderungen an sie. Auch in sittlicher Hinsicht. Für seine Milizionäre besteht ein strenges Alkoholverbot, besonders Frauen sollen sich nicht öffentlich betrinken.

Mozgovoys Popularität und Autorität, die Loyalität seiner Kämpfer und die Zuneigung der Bevölkerung, vor allem aber seine Vorstellungen von der Zukunft, machen ihn auch in den eigenen Reihen zu einem unbequemen Mann. Der Kommandeur ist ein charismatischer Schwärmer. Ein Visionär. Sein Ideal ist nicht die Zerstückelung der aufständischen Gebiete in kleine Volksrepubliken, sondern ein geeintes, souveränes Neurussland unter einer einheitlichen Regierung. Damit stellt er sich gegen die pro-russischen Politiker in Donezk und Lugansk, die sich mit den beiden Oblasts begnügen würden. Er stellt ihre Legitimität in Frage und wendete sich im Vorfeld gegen die nun abgehaltenen Wahlen. »Wir befinden uns im Krieg gegen den Faschismus und die Oligarchen«, begehrte der Kommandeur auf. »Inmitten des Kampfes darf es keine Wahlen geben, sondern es gilt das Primat des Militärs.« Für ihn, den Traditionalisten, entspricht seine Haltung dem guten russischen Brauch im Kriege. Er teilt diese Gesinnung mit Igor Strelkov.

Korruption und Bestechlichkeit gehören in den Augen des Brigadekommandeurs zu den großen Übeln in der Ukraine. Argwöhnisch beäugt er auch die eigenen politischen Führungen in Lugansk und Donezk. Einzelnen unterstellt er Postenhascherei. Mozgovoy erwähnt, dass auch ihm finanzielle Angebote unterbreitet worden sind, die er allesamt ablehnt hat. Doch er ist ohnehin bescheiden. Er sagt: »Ich habe eine Uniform, ich habe Stiefel, das ist genug für mich. Es wäre mir zu anstrengend, die Säcke voller Geld abzuholen.«

mozgovoy

In die deutschen TV-Nachrichten schaffte es Mozgovoy im Oktober 2014 mit seiner Einberufung eines Volkstribunals in Alchevsk, auch wenn er nicht namentlich genannt wurde. Um die 300 Menschen urteilten damals durch Abstimmung über zwei Vergewaltiger, von denen einer zum Tod durch Erschießen verurteilt wurde. Nein, es wurde niemand erschossen. »Jedem Menschen stehen Berufung und Urteilsüberprüfung durch eine obere Instanz zu«, bestimmt der Brigadekommandeur im Nachgang. Dann erläutert er die Sichtweise der meisten Anwesenden: »In einer Zeit, in der unschuldige Kinder, Frauen und Alte getötet werden, soll ausgerechnet der Schuldige geschont werden?«, haben sie sich gefragt.

Nun, Mozgovoy ist gewiss nicht der Typ eines gewissenlosen Despoten und Blutgerichtsherrn. Er will eine Volksdemokratie im Donbass, in ganz Neurussland, etablieren und testet aus, wie diese sich gestalten könnte. Auf eine nach vorherrschendem westlichem Verständnis unverständliche, archaische Weise bindet er die Menschen ins politische Geschehen ein. Er will, dass sie mitgestalten - und mitentscheiden. »Wir sind viele Menschen mit vielen unterschiedlichen Ansichten«, sagt der Kommandeur in einem Interview, »wir wollen von allem das Beste nehmen und etwas zutiefst Humanes schaffen.«

Für Vertreter der westlichen Demokratieformen einerseits und für slawische Traditionalisten andererseits bestehen große Unterschiede in der Definition von Humanismus, die vor allem auf dem Gegensatz zwischen individueller und kollektiver Freiheit beruhen. So ist der Brigadekommandeur ein entschiedener Gegner der Revolution in Russland 1917 und findet, dass fast alles falsch gemacht wurde, gleichzeitig ist er aber auch gegen Ausbeutung, soziale Verwerfungen und zu große gesellschaftliche Unterschiede. Daher lehnt Mozgovoy die Eliten-Herrschaft ab, und deswegen gehören auch die Oligarchen zu seinen Gegnern. Die bisherige Entwicklung der Ukraine bezeichnet er als Etablierung einer Feudalherrschaft, die gegenwärtige Regierung ist für ihn - und viele andere - eine von Faschisten zersetzte, an die Macht geputschte Junta.

Wie auch immer, jedenfalls kann man die Vorgänge im Donbass ohnehin nur verstehen, wenn man bereit ist, die russische Seele zu begreifen und sich mit bestimmten gewachsenen Traditionen zu beschäftigen. Aus diesem Grund befasse ich mich eher mit den Beteiligten als mit politischen Hintergründen. Die Menschen vor Ort, ihre Beweggründe und Sehnsüchte, sind der Schlüssel zum umfassenden Ergründen der Situation. Es ist nicht damit getan, Menschen pauschal in ›gut‹ und ›böse‹ einordnen zu wollen. Kaum jemand von uns würde sich selbst als ›böse‹ einstufen, auch dann nicht, wenn man eigentlich noch keinem Menschen je etwas wirklich Gutes getan hat. Der Blick muss also tiefer gehen.

Aber bleiben wir bei Aleksei Mozgovoy. Er ist ein Rebell und Visionär. Seine Vorstellungen von einer lebenswerten Gesellschaft für die Vielen, die freilich im Gegensatz zu einer erstrebenswerten Gemeinschaft für den Einzelnen stehen, haben ihn zum Aufständischen werden lassen. Er ist einer von rund 35.000 Milizionären des Donbass und einer von mehreren Millionen Menschen in der Ukraine, die ihre Zukunft eher mit der Russischen Föderation als mit der Europäischen Union gestalten wollen. Und von Odessa bis Charkov warten zahllose pro-russisch eingestellte Menschen auf die Milizen des Donbass, um sich ihnen anzuschließen. Die Befindlichkeiten des Kreml sind längst in den Hintergrund geraten. Die Akteure haben sich verselbständigt.

»Wir bekommen Unterstützung aus Russland, aber sie könnte größer sein«, gesteht Mozgovoy gegenüber Journalisten unumwunden ein. Zu Präsident Putin persönlich äußert er sich nicht. Putin ist einer der gewählten Atamane der Kosaken, und kein Kosak kritisiert öffentlich einen Ataman. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Dennoch kann der aufmerksame Beobachter eine gewisse Unzufriedenheit des Brigadekommandeurs hinsichtlich des mangelnden Beistands durch Russlands Staatsführung erkennen. Das lässt man ihn spüren, nur mit großem Aufwand und der Unterstützung Igor Strelkovs konnte er die angedachte Auflösung seiner Brigade abwenden. Letztlich hat Mozgovoy sich durchgesetzt. An ihm führt kein Weg vorbei, hat man in Lugansk einsehen müssen, es geht nicht ohne ihn, auch wenn es manchmal nur schwer mit ihm geht. Nach einer Aussprache zwischen dem Lugansker Republikchef Igor Plotnizki, Ataman Nikolai Kozitsyn von der Großen Donarmee und Aleksei Mozgovoy, also den drei wichtigsten Militärbefehlshabern in der Region Lugansk, rückt man wieder enger zusammen.

Der Brigadekommandeur Mozgovoy, dessen Einfluss sich auf sein persönliches Charisma und das hohe Ansehen bei zahllosen Bewohnern der Ostukraine stützt, handelt oft eigenmächtig. Der Traditionalist geht ab und an unkonventionelle Wege. In mehreren Videokonferenzen mit der Gegenseite, die nicht unkritisiert geblieben sind, stellt er seine Positionen dar und hört seinen Widersachern aufmerksam zu. Mozgovoy will keinen Krieg, aber auch keinen Burgfrieden, der die Zukunftsinteressen der Bevölkerung und deren Recht auf Selbstbestimmung ignoriert.

Um zum Ende zu kommen: Aleksei Borisovich Mozgovoys eigene Zukunft ist ebenso ungewiss, wie die der anderen Menschen im Donbass. Er ist bereit für Kampf und Tod. »Sterben müssen wir alle«, sagt er. Er würde dennoch lieber seine Vorstellungen verwirklichen. Mosgovoy ist das Idealbild eines Kosaken: Stark und eigensinnig, kämpferisch und hart, gläubig und sittenstreng, auf das Wohl der Gemeinschaft bedacht und bisweilen widersprüchlich im Denken und Handeln. Doch im Gegensatz zu anderen Menschen hat er ein klares Ziel, ein deutliches Zukunftsbild vor Augen. Dafür kämpft er, dafür engagiert er sich - gegen alle Widerstände.

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