Freitag, 29. Mai 2015

Fürchte nicht um deine Haut

Ein Nachruf auf Aleksey Borisovich Mozgovoy


Am 23. Mai 2015, gegen 17:50 Uhr, starben nahe der Ortschaft Michailovka an der Straße zwischen Lugansk und Alchevsk sieben Menschen durch die heimtückischen Kugeln bislang noch nicht identifizierter Attentäter. Es handelte sich bei den Opfern des hinterhältigen Anschlages um vier neurussische Milizsoldaten, eine Aktivistin und Journalistin sowie zwei unbeteiligte Zivilisten, die sich dem kleinen Konvoi angeschlossen hatten. Die Zivilistin war hochschwanger, die Journalistin hinterlässt drei Kinder.

Das prominenteste Opfer des Mordanschlages war Aleksey Borisovich Mozgovoy, Kommandeur der neurussischen Brigade Prizrak, deren Hauptquartier sich in der Stadt Alchevsk befindet. Bei ihm waren seine Pressereferentin, der Fahrer des Kommandeurs und zwei bewaffnete Begleiter. Ihre Namen:

Anna Samelyuk, Pressesekretärin
Aleksey Kalashin, Milizsoldat
Andrey Ryazhskikh, Milizsoldat
Aleksandr Yuryev, Milizsoldat


Am 27. Mai 2015 wurden sie gemeinsam mit Kombrig Mozgovoy unter der Anteilnahme von mehr als 2.000 Trauergästen zu Grabe getragen.

Der Name Mozgovoy wird im deutschsprachigen Raum nur jenen Menschen bekannt sein, die sich näher mit den Geschehnissen in der östlichen Ukraine befassen. Doch selbst dann muss es teilweise schwer fallen, die Bedeutung des Brigadekommandeurs vollumfänglich zu erkennen. Deshalb habe ich mich für einen Nachruf entschieden, der zugleich die kurze Lebensgeschichte Aleksey Mozgovoys erzählen wird.

Beginnen möchte ich am Anfang. Geboren wurde Aleksey Borisovich Mozgovoy in einem kleinen Dorf in der damaligen Oblast Lugansk. Dort steht sein Elternhaus. Sein Geburtstag ist der 3. April 1975. Er ist ein gebürtiger Donkosak. Einer von vielen in der Lugansker Region. Das Siedlungsgebiet der Donkosaken erstreckt sich nicht nur entlang des Don, sondern auch an dessen Nebenflüssen bis hinauf zum Severskiy Donez, bei dem sich die auf diesem Blog häufiger erwähnte Staniza Luganskaya befindet - eine von Donkosaken gegründete Siedlung, die heute hart umkämpft ist.

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Foto: Aleksey Mozgovoy am Tag des Sieges in Alchevsk

Über das Leben Mozgovoys vor dem Ausbruch des Krieges im Donbass ist wenig bekannt geworden. Man weiß, dass er sieben Jahre als Kontraktsoldat in der ukrainischen Armee gedient hat. Dass er als Metallarbeiter und Konstrukteur tätig war. Vor dem Konflikt in der Ostukraine arbeitete er nach eigenen Angaben als Koch in Sankt Petersburg. Weshalb er seine Heimat verließ, kann nur vermutet werden. Es ist anzunehmen, dass er wegen der schlechten Wirtschaftslage in der Ukraine sein Glück in Russland versuchen wollte.

Vor seinem Weggang aus dem Donbass war Aleksey Mozgovoy ebenso wenig ein Unbekannter wie nach seiner Wiederkehr. Er sang als Solist im Kosakenchor seines Heimatbezirkes, trat gar in regionalen Gesangswettbewerben an. Wer nur seine raue Kommandostimme gehört hat, wäre von seiner gefühlvollen Gesangsstimme sicherlich überrascht gewesen. Mozgovoy schrieb auch Gedichte, in die er kaum weniger Gefühl legte wie in seinen Gesang. Und man sagt, er habe kühn und sicher den Kosakensäbel geschwungen.

Seine künstlerische Betätigung in der Lugansker Region straft die über ihn verbreiteten Gerüchte, er sei ein im Donbass völlig unbekannter russischer Offizier, Söldner oder Agent gewesen, eindeutig Lügen. Aber wie wollte man sonst einen soliden, gefühlvollen und kunstbegeisterten Mann wie Mozgovoy als grobschlächtigen ›Terroristen und Banditen‹ verkaufen? Nahezu unmöglich, also wurde er von der ukrainischen Propaganda verleugnet. Es gab ihn angeblich nicht in der Ukraine vor dem Frühjahr 2014.

Unbestritten gab es neben dem Euromaidan in Kiew auch einen Antimaidan, nur wenige Häuserblocks voneinander entfernt. Mozgovoy gehörte zu den ersten Aktivisten, die sich für eine Ukraine der Regionen, für die enge Bindung des Landes an Russland und gegen den Sturz des gewählten Präsidenten Janukovich richteten. Nach der verfassungswidrigen Absetzung des Präsidenten stieg der Kosak auf eine Barrikade, hielt eine flammende Rede und verließ danach die ukrainische Hauptstadt. Wenige Tage später gründete Mozgovoy in Lugansk die erste Volksmiliz des Donbass. Damals an seiner Seite war der ebenfalls später ermordete ehemalige Polizeioffizier Aleksandr Bednov.

Nach der ukrainischen Behauptung, Mozgovoys Miliz mit ihren zu dieser Zeit etwa 500 Kämpfern sei durch einen Luftschlag der ukrainischen Armee vollständig vernichtet worden, nannte das Bataillon sich Prizrak - Gespenst. Aus dem Bataillon Prizrak entstand im weiteren Verlauf die gleichnamige Brigade mit mehr als 1.500 Kämpfern und einer stark ausgeprägten humanitären Komponente.

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Foto: Kombrig Mozgovoy mit Kämpfern seiner Brigade

Mozgovoy und sein Verband kämpften in Slavyansk, in Lisichansk, an der Lugansker Nordfront, bei Popasnaya, im Kessel von Debalcevo, in der Gegend um Kirovsk. Lisichansk gab er auf, um ein Massaker an der Zivilbevölkerung zu vermeiden; seine leicht bewaffneten Kämpfer konnten gegen die schweren Waffensysteme der Kiewer Truppen und ihrer faschistischen Freischärler nichts ausrichten. Ebenso handelte Oberst Igor Strelkov (Girkin) in Slavyansk. Legendär die Evakuierung von rund 130 Zivilisten, die sich inmitten des gegnerischen Gebietes in Kellern verbargen, durch die Brigade Prizrak unter Mozgovoys persönlichem Kommando.

An dieser Stelle soll Oberstleutnant Viktor Vladimirovich Verovka, Vorsitzender der Union der Offiziere von Novorossia, zu Wort kommen. Er berichtet aus der Zeit als Einheitsführer unter Mozgovoy und erzählt eine bezeichnende Geschichte. Der Offizier hatte den Befehl, eine wichtige Brücke zu halten. »Mozgovoy rief mich an und fragte, ob ich das Problem verstehe«, sagt Verovka. »Ich antwortete: Ja, um jeden Preis die Brücke zu halten. Doch Mozgovoy gab zurück: Deine Aufgabe ist es, um jeden Preis das Leben unserer Kinder zu schützen! So ein Mensch war Aleksey Borisovich.«

Mozgovoy und die Kinder! Beim Betrachten von Fotos, die den Brigadekommandeur zeigen, sieht man oft einen Mann mit einem strengen, harten und beherrschten Blick. Doch wann immer Kinder in seiner Nähe waren, lächelte er väterlich-fürsorglich. Ihnen galt seine größte Sorge. Dass er mehrere Schulen und Waisenhäuser in seinem Abschnitt sowie die Entbindungsklinik in Alchevsk mit hohem Engagement unterstützte, noch Tage vor seinem Tod mit einigen Kämpfern einen Spielplatz errichtete, erscheint da als Zwangsläufigkeit.

Das Soziale gehörte zu den wichtigsten Angelegenheiten Mozgovoys. So betrieb und unterstützte seine Brigade Prizrak mehrere Suppenküchen, organisierte über die humanitäre Bewegung Igor Strelkovs Kinderferienaufenthalte im sicheren Hinterland der Russischen Föderation, schaffte Nahrung und andere wichtige Güter heran. Für unzählige Menschen im Raum Alchevsk war der Feldkommandeur ihr Hoffnungsträger, der Garant für eine gerechte und soziale Gesellschaft.

Im Weißen Haus und im Pentagon, im politischen Westen überhaupt, sah man ihn hingegen als den ›radikalsten Separatistenführer im Donbass‹. Dabei war Mozgovoy kein gefährlicher Heerführer, kein militärisches Genie, kein gnadenloser Kriegsherr. Als gefährlich empfand man seine Visionen und Ideen. Die Renaissance des historischen Begriffs Neurussland und dessen Hinterlegung mit Inhalten ging weitgehend auf Aleksey Mozgovoy und sein Umfeld zurück. Ob seine Zukunftsgedanken mit ihm gestorben sind, bleibt abzuwarten. Der Feldkommandeur ist ersetzbar, der charismatische Volkstribun hingegen kaum.

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Foto: Brückenbau zwischen historischen Gegnern

Putins Agent? Nein, das war der Kommandeur genauso wenig, wie Igor Strelkov es ist. Im Gegenteil, Mozgovoys Vorhaben gingen selbst dem Kreml zu weit. Er war die Opposition zum Gegenwärtigen, zum Zweifelhaften und Gescheiterten. Sein Kampf für eine freie, gerechte und soziale Gesellschaft führte Patrioten, Traditionalisten, Kommunisten in Eintracht zusammen, er ließ Bergarbeiter und Bauern, Handwerker und Kosaken zu einem einzigen Truppenkörper verschmelzen. In Mozgovoys Garnisonen wehten die Fahnen von Russland, Neurussland und Lugansk, der Sowjetunion und der Donkosaken einträchtig neben dem Banner mit dem Bildnis Christi. Priester segneten Atheisten, Kommunisten bekreuzigten sich. Mozgovoys Welt war die Einheit in der Vielfalt. Diese seine Ideen von einer wahren Herrschaft des Volkes sind geeignet, auch für die Regierungen anderer Länder gefährlich zu werden, in denen die Risse zwischen den einzelnen gesellschaftlichen und sozialen Gruppen sich zunehmend verbreitern und vertiefen.

Einige Zeitgenossen vergleichen Mozgovoy mit Che Guevara. Doch angetrieben wurde der streng gläubige orthodoxe Christ von den christlichen Werten und dem christlichen Menschenbild. Und von den kosakischen Tugenden, wie Freiheit und Unabhängigkeit, Gerechtigkeit und Gleichheit. Der Wille des Volkes soll maßgeblich sein. Auch in den Kosakenverbänden entscheidet die Versammlung über die großen Obliegenheiten, die Atamane über die kleinen. Dem Donkosaken Mozgovoy war es so möglich, Brücken zu bauen zwischen Monarchisten und Kommunisten. Die Stellung als Militärkommandeur wollte er nicht zur Beherrschung der Menschen nutzen, sondern zur Garantie der Umsetzung des Willens des Volkes. Die Machtausübung durch Geld- und Funktionseliten war ihm zuwider.

Mozgovoys Kämpfer zeichneten sich durch ihre hohe Loyalität aus. Sie verehrten ihren Kommandeur. Doch einen ›Makel‹ fanden sie trotzdem an ihm: Sie kritisierten, dass er nicht in die Politik ging. Doch Mozgovoy lehnte sogar die inmitten des Krieges stattfindenden Wahlen entschieden ab und sagte dazu: »In dieser Situation hat die Priorität beim Militär zu liegen, das ist gute russische Tradition. Wählen soll man im Frieden.«

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Foto: Mit Stabschef Shevchenko beim Anlegen eines Spielplatzes

Er sagte auch: »Ich habe eine Uniform, ich habe Stiefel. Mehr brauche ich nicht. Es wäre mir zu mühevoll, die Säcke voller (Bestechungs-) Geld abzuholen.« Mozgovoy lebte einfach, beinahe spartanisch. Er widerstand allen Versuchen, ihn zu korrumpieren. Sein Wirtschaftssystem der Zukunft bestand aus kleinen und mittelständischen Unternehmen mit Verantwortung für die Menschen - und aus dem Volke gehörenden Staatsunternehmen in den Schlüsselindustrien. Und so reihten sich auch die Verfechter des heute erneut praktizierten, ausbeuterischen Urkapitalismus in die Scharen seiner Feinde ein.

Oh ja, Aleksey Borisovich Mozgovoy hatte viele Feinde. Er bekämpfte den wiedererwachenden Faschismus und Nationalismus in der Ukraine, die Feudalherrschaft der Oligarchen, die Korruption und den Amtsmissbrauch in den eigenen Reihen, die Banden der organisierten Kriminalität. Seinem Vorgesetzten Igor Plotnizki, Oberhaupt der nicht anerkannten Lugansker Volksrepublik, stand er skeptisch gegenüber, von Russland forderte er größere Unterstützung. Entsprechend breit ist das Spektrum, aus dem seine Mörder kommen können.

»Не бойся за шкуру - бойся за честь!« (Fürchte nicht um deine Haut - fürchte um deine Ehre!) Dies sagte Aleksey Borisovich zu einem Interviewer während einer Gefechtspatrouille im Kessel von Debalcevo. Der Kommandeur lebte nach diesem Grundsatz - und er starb nach ihm. Es wäre nicht in seinem Sinne, den Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit, Volksherrschaft und Gemeinschaftssinn aufzugeben, nur weil ein einzelner Kämpfer gefallen ist - selbst wenn er Mozgovoy heißt. Besonders nicht dann.

Die Fortsetzung des Kampfes ist Aleksey Mozgovoys Hinterlassenschaft an die Nachwelt. Es ist sein Vermächtnis.


Ruhe in Frieden, Aleksey Borisovich,
möge die Erde dir leicht wie ein Daunenbett sein.
Erblicke die Pracht und Herrlichkeit des Paradieses,
du tapferer Soldat, guter Kamerad und Held Neurusslands,
mein unbekannter Freund und Bruder im Geiste und im Glauben,
ein Stück von mir wird dich begleiten.
Ewige Erinnerung.

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