Dienstag, 31. Dezember 2013

Kenias 9/11

Die Westgate Mall in der kenianischen Hauptstadt Nairobi war vor dem 21. September 2013 ein beliebter Treff von Ausländern und wohlhabenden Kenianern. Deshalb, zum Schutz dieser Menschen, galten auf dem Areal strenge Sicherheitsvorkehrungen. Doch seit einer Woche ist die Mall ein Trümmerfeld, ein steinernes Mahnmal gegen den internationalen Terrorismus, gegen Hass und Gewalt. Denn am Mittag des 21. September brachte ein Lieferwagen den Tod und das arme, gebeutelte Kenia erlebte sein 9/11.

Die Attacke der etwa 15 bis 20 Angehörigen der somalischen Al-Shabaab-Miliz war von langer Hand vorbereitet. Um den Gebäudekomplex ausspähen zu können, wurde ein Ladengeschäft angemietet. Die Angreifer wurden in mehreren Ländern rekrutiert und waren schwer bewaffnet. Sie schossen zuerst die Sicherheitskräfte der Mall nieder, teilten sich in zwei Gruppen auf und richteten sofort ein erstes Blutbad an. Wahllos feuerten sie auf die Besucher der Mall, warfen Handgranaten auf ihre Opfer, töteten Flüchtende durch Schüsse in den Rücken. Besonders grausam: Einigen Geiseln wurden Hände und Füße abgehackt; die Verstümmelten wurden mit einem Aufzug nach unten geschickt - nur um die Einsatzkräfte zu schockieren.

Vier Stunden lang wüteten die Angreifer, die in jeder der vier Etagen Scharfschützen postiert hatten, um im Innern ungestört morden und verstümmeln zu können, dann erfolgte gegen 16:00 Uhr der erste Zugriff der kenianischen Sicherheitskräfte. Er scheiterte. Aus der Mall war nach außen eine Festung und innen ein Kerker geworden. Für Kenia, dessen Sicherheitskräfte im Verhältnis lediglich etwa ein Viertel der deutschen Personalstärke aufweisen, war diese Situation eine Nummer zu groß. Das ganze Land verfügt über ganze 75 Antiterrorkräfte.

Israel und Indien involviert

Die Mall wurde von einer indischen Baufirma errichtet und gehört großenteils einem Israeli. Es gibt zahlreiche von Indern betriebene Geschäfte innerhalb des Einkaufszentrums. Die indische Community erklärte, es gäbe mindestens 50 indische Todesopfer, da unmittelbar vor dem Angriff der Terroristen ein Kochwettbewerb der Community stattfand und sich daher viele Inder auf dem Gelände aufhielten.

Israel ist nicht nur durch die Eigentumsverhältnisse der Mall engagiert, sondern bildete auch die kenianische Antiterroreinheit aus. Daher entsendete das Land sofort Terrorbekämpfungsberater nach Nairobi, die aber nicht unmittelbar an der Erstürmung des Einkaufszentrums teilnahmen.

40 Stunden Hass

Etwa vierzig Stunden lang konnten die Terroristen im Innern der Mall morden, foltern und wüten. Getötet wurden alle Geiseln, die den Angreifern »nicht genehm« waren. Ein entsetzter Hilfeschrei genügte, um sofort erschossen zu werden. Doch nicht genug. Als die 75-köpfige kenianische Antiterroreinheit das Gebäude endlich unter ihre Kontrolle brachte, bot sich den Soldaten und den sie unterstützenden Notfallmedizinern ein schockierendes Horrorszenario. Ermordete Geiseln hingen an Haken von der Decke herab, vielen fehlten Hände und Finger, anderen die Ohren, wieder anderen hatte man die Augen ausgestochen, einige entmannt. Der Boden war ein See aus Blut.

Die Aufgabe des letzten in der Mall verbliebenen Terroristen war es gewesen, Leichen zu verbrennen. Geiseln und Terroristen gleichermaßen, um die Identifizierung zu erschweren. Dies veranschaulicht die grausame Logik des Terrors. Man nimmt Menschen nicht nur das Leben, sondern beraubt sie zusätzlich ihrer Identität. Namenlos sollen sie begraben werden, die ›Kuffar‹, die Ungläubigen, die kein Recht auf Dasein haben.

Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand wurden fünf der Terroristen von den Einsatzkräften getötet, weitere elf wurden am Flughafen Nairobi festgenommen. Es heißt, einige der Angreifer konnten in den Uniformen getöteter Soldaten entkommen. Es heißt auch, es gäbe in Nairobi ein ›sicheres Haus‹, einen Unterschlupf für gesuchte Terroristen. Wie viele Islamisten sich in Kenia aufhalten weiß niemand. Ebenso wenig wissen es andere, weitaus technisch fortschrittlichere Staaten. Das ist die eigentliche Gefahr. Nairobi kann überall geschehen, in einer Welt, die längst zum Dorf geworden ist, in der die Feinde des Friedens und des gewaltfreien Miteinanders unerkannt im Nachbarhaus leben können.

Die Hintergründe

Kenia stellt 5.000 Soldaten, ein Viertel seiner Streitkräfte, der Mission der Afrikanischen Union in Somalia, UNISOM, zur Verfügung. Den kenianischen Streitkräften war es 2012 nach schweren, aufopferungsvollen Kämpfen gelungen, die Al-Shabaab-Miliz aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu zu vertreiben. Seither hat Al-Shabaab, die einen Eid der Gefolgschaft auf die Al-Qaida abgelegt hat, immer wieder Racheaktionen gegen Kenia durchgeführt.

Der Angriff auf die Mall erfolgte aus mehreren Gründen. Man wollte Kenia treffen, den verhassten Feind, dem man unterlegen war. Man wollte ebenso das nichtmuslimische Ausland treffen, das ohnehin als ›Handlanger des Bösen‹ gilt. Und die Mall befindet sich in unmittelbarer Nähe einer UN-Einrichtung, deren Mitarbeiter gern die Mall aufsuchen. All das wurde in der Planung der Terroristen wohl bedacht. Es zeigt uns, dass es sich bei diesen Leuten nicht um ungebildete Menschen handeln kann. Zu gut durchdacht, geplant und vorbereitet war diese Aktion, wie vor zwölf Jahren 9/11, und dass Islamisten für ihre extremistischen Ansichten auch das eigene Leben opfern, ist nicht neu und folgt aus der Sicht der ›Gotteskrieger‹ sogar der Logik. Einer schockierenden Logik, die für uns kaum nachvollziehbar ist.

Der digitale Krieg

Unter dem Logo ›HSM Press Office‹ berichteten drei Gewährsleute der Terroristen auf dem Kurznachrichtenportal ›twitter‹ im Minutentakt von den Abläufen in der Mall. ›HSM‹ steht für Harakat al-Shabaab al-Mujahideen - also für die Al-Shabaab-Miliz.

Insgesamt sechsmal wurde der Account vom Anbieter gesperrt und siebenmal wurde er neu eingerichtet. Dass es sich dabei um einen authentischen Account handelt, zeigt die Form der Einträge. Einige beschreiben Geschehenes, andere kündigten hingegen Geplantes an. Beides stellte sich im Nachhinein als richtig heraus. Nur ›Insider‹ konnten im Voraus wissen, was im Verlauf des Angriffs geschehen wird.

Stimmen aus Kenia

Kenias Innenminister Lenku steht wegen seiner Informationspolitik auch im eigenen Land in der Kritik. Die Opferzahlen scheinen geschönt (inoffiziell spricht man von 130 bis 150 Toten), die Maßnahmen gegen die Terroristen wirkten provisorisch und unkoordiniert. Präsident Uhuru Kenyatta wird hingegen nachsichtig beurteilt, da seine Familie persönlich betroffen ist. Eine Schwester Kenyattas wurde während des Angriffs verletzt, ein Neffe und dessen Verlobte wurden von den Terroristen ermordet.

Nicht nur die Informationen zu Nairobi werden kritisch beanstandet, sondern auch die nahezu unterschlagenen Nachrichten zu den beiden weiteren Anschlägen in zwei Ortschaften nahe der Grenze zu Somalia, bei denen es mehrere Tote und Verletzte gab. »Nur über die Reichen wird berichtet«, heißt es unter vielen Kenianern missmutig und enttäuscht.

Terrorismus - eine globale Bedrohung

Nun, am Ende meines Beitrages angelangt, kommt mir die Aussage eines der beiden Mörder des britischen Soldaten Lee Rigby in den Sinn: »Ihr werdet nie sicher sein!« Diese Worte sind nicht nur dahergesprochen. Terroristen und Dschihadisten können, wie Kenia zeigt, überall auf der Welt zuschlagen. Damit möchte ich keine Panik hervorrufen, sondern lediglich ein weiteres Mal auf die Gefahren des globalen Terrorismus hinweisen. Er kann jedes Land treffen, das von radikalen Islamisten als Feindbild angesehen wird. Auch unser Land.

Gebetmühlenartig zu behaupten, es gäbe keinerlei Bedrohung, ist unpassend, bagatellisierend und unter Umständen sogar fahrlässig. Der Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit wird uns wohl weiterhin beschäftigen müssen. Weltweit.

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Siehe auch: Al-Shabaab-Miliz

Einige Quellen:
http://www.mirror.co.uk/news/world-news/nairobi-attack-hostages-found-hanging-2309718
http://timesofindia.indiatimes.com/india/Over-50-Indians-among-130-dead-in-Nairobi-mall/articleshow/23121187.cms
http://news.nationalpost.com/2013/09/26/al-shabab-extremists-confirm-gunmen-targeted-non-muslim-foreigners-in-deadly-nairobi-mall-attack/

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