Dienstag, 18. Februar 2014

Ein ganz normaler Morgen

Es geschah an einem ganz normalen Morgen im Norden des westafrikanischen Staates Mali. Mehrere Pickups mit aufmontierten Maschinengewehren fuhren auf dem Dorfplatz vor. Deren Besatzungen, bewaffnete Männer mit rot gefärbten Bärten, trieben die wehrlosen Dorfbewohner aus ihren armseligen Hütten. Die Eindringlinge, Angehörige der Terrororganisation Ansar Dine, hielten ein Strafgericht gemäß der Scharia ab. Von arabischstämmigen Einwohnern denunziert, wurde eine Frau wegen angeblichen Ehebruchs ausgepeitscht und einem Mann als angeblichen Dieb die rechte Hand amputiert. Ob die Anschuldigungen gerechtfertigt oder schlicht erlogen waren, wussten wohl nur die Angeklagten. Es interessierte ohnehin nicht. Auch für mich ist in diesem Zusammenhang Schuld oder Unschuld unerheblich. Weil barbarische Strafen nicht gerecht sind. Gegenüber niemandem.

Nun stellen wir uns vor, rotbärtige Bewaffnete dringen in unser Dorf oder Viertel ein, treiben uns wie Vieh zusammen und begehen gegen einige von uns üble Gewalttaten. Mancher Leser wird jetzt eine Sekunde lang denken, dass er sich natürlich mannhaft wehren würde. Wirklich? Eher nicht. Weit weg von der Gefahr kann jeder Mensch tapfer sein, im Angesicht wirklicher Not schrumpft die Zahl derer, die sich nicht einschüchtern lassen, stets auf ein Minimum zusammen. Hier wie dort.

Die Republik Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt, kaum in der Lage zur eigenständigen Lösung der vielschichtigen Probleme, deren größte der Terrorismus und die wirtschaftliche Ausbeutung sind. Zu Armut und Elend kam die Angst hinzu. Fremde brachten den Krieg über sie. Denn die wenigsten Kämpfer von Ansar Dine oder Al-Qaida im Maghreb sind schwarz. Sie kommen aus Algerien, Mauretanien, Libyen, Saudi-Arabien, den Golfstaaten. So auch an dieser Stelle ein Wort zum Rassismus: Für viele arabische Muslime sind Schwarzafrikaner, selbst wenn sie Muslime sind, minderwertig und werden entsprechend behandelt.

Während also Fremde den Krieg nach Mali trugen, waren es auch Fremde, die ihn zu beenden suchten. Doch was hat nun Europas schlagkräftigste Armee, die französische, und die erfahrenen Wüstenkämpfer aus dem Tschad eigentlich bewogen, sich den Terroristen im Norden Malis entgegenzustellen?

»Frankreich hat Atomkraftwerke und Mali verfügt über Uran«, schreien sofort die dem Pazifismus verbundenen linken und sonstigen Ideologen. Richtig, aber der Tschad hat keine. Auch nicht die Länder der westafrikanischen Wirtschaftsunion, die Truppen nach Mali entsendeten. Gerade letztere Länder befürchteten vielmehr ein Übergreifen des nordmalischen Terrorismus auf ihre eigenen Staaten. Überdies sei hinsichtlich des so genannten »Wirtschaftskrieges«, den man oberlehrerhaft den Franzosen unterstellt, angemerkt, dass auch deutsche Spekulanten an den Rohstoffbörsen vom Uranabbau und -handel profitieren.

Aber ein Blick in die Geschichte: Schon Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts kursierten in Europa Karikaturen der einzelnen Kolonialmächte mit den jeweils bezeichnenden Eigenschaften. Die Franzosen fraternisierten, die Briten machten Geschäfte, die Deutschen ließen ihre neuen Untertanen exerzieren. Diese Eigenarten gelten auch heute noch. Frankreich sieht sich innerhalb der Frankophonie weiterhin in der Pflicht, die Briten machen noch immer Geschäfte und von den Deutschen bekommt man nichts ohne gleichzeitig irgendein Regelwerk zu übernehmen.

Die bedrohten und geschundenen Menschen in Mali interessierte dies alles sowieso nicht. Sie waren den Franzosen und Tschadern, der Nigerianern und Senegalesen dankbar, von den brutalen und grobschlächtigen Islamisten befreit zu werden. Nicht mehr ausgepeitscht und verstümmelt zu werden.

Gute Gesetze sind nur wertvoll, wenn sie für alle Menschen gelten. Weltweit. Man kann gute Gesetze auf vielfältige Weise verbreiten. Doch wenn man nicht gleichzeitig bereit ist, die Anwendung der Gesetze überall auf dem Globus zu ermöglichen, verlieren sie ihren Wert und verkommen zu bloßen Lippenbekenntnissen.

Statt einer Episode aus Mali hätte ich ebenso gut eine Geschichte aus der Zentralafrikanischen Republik, aus dem Südsudan oder aus Syrien erzählen können. Denn überall herrscht Krieg. Und in zwei der drei zuletzt genannten Länder sehen sich allein die Franzosen mit allen Konsequenzen in der Pflicht. Man kann Frankreich manches vorwerfen - jedoch nicht den Verrat ihrer Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Damals wie heute ist das Land der Revolutionen bereit, den Brüdern auch mit der Waffe in der Hand beizuspringen. Auch ohne Uran.

In Deutschland - so durfte ich erst kürzlich wieder bei Facebook erleben - wird von so manchem Zeitgenossen der Bürgerkrieg in Syrien und die Leiden der Bevölkerung bevorzugt verwendet, um wildfremde Menschen und deren Ansichten zu beschämen. Wer mit der Verteidigung seines persönlichen, ideologischen Fetischs nicht mehr weiterkommt, wirft seinen Gegnern Mitleidlosigkeit gegenüber den Syrern vor.

Wem glaubt man damit zu helfen?

1. Maulender Autor
2. Kasinogespräche
3. Zeitgeschehen
4. Nazis gegen rechts
Akte Bundeswehr
Akte Unsinn
Akte Weltordnung
Elsa fragt den Soldaten
Russischer Frühling
Sirkos Staniza
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren