Die Guten und die Bösen
Man mag es nicht glauben, aber es ist wirklich so: Nach westlicher Lesart gibt es ›gute‹ und ›böse‹ Diktatoren. Natürlich brechen und beugen beide Gruppen von Tyrannen die Menschenrechte, aber bei den einen ist dies wichtig, bei den anderen nebensächlich. Das sage nicht nur ich, sondern auch der renommierte Nahost- und Islamexperte Dr. Michael Lüders. Möglicherweise findet sich die Aufzeichnung seines am Samstag und Sonntag ausgestrahlten, wirklich sehr sehenswerten TV-Auftritts in der Mediathek des Informationskanals ›phoenix‹ unter der Rubrik ›Im Dialog‹.
Wir müssen einsehen: Der syrische Präsident Baschar al-Assad ist auf jeden Fall ein böser Despot. Weil er sein Volk unterdrückt und anti-westlich ist. Der saudische König Salman Ibn Abd Al-Aziz dagegen ist ein guter Despot. Weil er sein Volk unterdrückt und pro-westlich ist. Dementsprechend gibt es natürlich auch ›gute‹ und ›schlechte‹ Besatzer. So ist für die Europäische Union die Besetzung von Teilen eines ihrer Mitgliedsstaaten weniger bedeutungsvoll als die Besetzung von ohnehin historisch umstrittenen Gebieten eines Nicht-Mitgliedstaates. Immerhin, Nordzypern wurde von einem NATO-Verbündeten und EU-Beitrittskandidaten besetzt, den besonders das Weiße Haus und das Pentagon gern noch enger an Europa gebunden sähe, die Halbinsel Krim vom ewigen Erzfeind Russland, der sich in seiner Bedeutung gefälligst zwischen den Tälern von Andorra und Mali einordnen soll. Zwangsläufig erscheint dann wohl auch, dass es ›gute‹ und ›böse‹ Landteilungen gibt. Die Ukraine muss unbedingt in ihren Grenzen erhalten bleiben, während von Israel auf jeden Fall ein souveräner Palästinenserstaat abgespalten werden muss. Das vormalige Jugoslawien musste gar in ein knappes Dutzend Staaten aufgeteilt werden, den Kurden steht hingegen kein eigener Staat zu, obwohl sie ein eigenes Volk bilden.
Wer ›gut‹ und wer ›böse‹ ist, welches Volk das Anrecht auf einen eigenen Staat hat, bestimmen längst nicht Logik und Vernunft, nicht einmal das Völkerrecht, sondern globalpolitische und -strategische Interessen. Doch globale Akteure gibt es nur sehr wenige. Man kann sie an den Fingern einer Hand abzählen. Zu nennen wären lediglich die USA, Russland und China - dazu teilweise Frankreich mit seiner Frankophonie. Die EU ist dabei eher die Abnickfraktion der USA. Sie ist kein eigenständiger globaler Akteur im Sinn der Geopolitik. Ehrlich, sie kann ohne Hilfe der NSA nicht mal ihre eigenen Bürger ausspähen. Wirklich lustig ist aber, dass die EU unter den eigenen Sanktionen leidet, während Amerikaner und Russen weiterhin gute Geschäfte miteinander tätigen.
Aber bleiben wir bei der Geopolitik. Beispiel Mittlerer Osten: Zuerst unterstützten die USA den Schah von Persien, der die Opposition unterdrückte, gegen den Irak, der die Opposition unterdrückte. Dann kamen im Iran die anti-westlichen Ayatollahs an die Macht, also wurde der Irak als Statthalterstaat in der Region etabliert. Als die CIA-Marionette Saddam Hussein sich verselbständigte und zur Ex-Marionette verkam, wurde sie gestürzt. Bis zu 600.000 irakische Zivilisten bezahlten diesen Sturz mit ihrem Leben. Da der Iran immer noch von den Ayatollahs regiert wird, blieb nur ein weiteres Engagement im Irak. Doch da kämpft mittlerweile jeder gegen jeden: Kurdenmilizen, sunnitische und schiitische Stammeskämpfer, Soldaten einer schwachen Zentralregierung, die Horden des Terrorkalifats des IS. Längst ermordet oder vertrieben sind die religiösen und ethischen Minderheiten, wie Christen, Jesiden und Drusen, die Saddam Hussein relativ unbehelligt ließ. Im ›freien und demokratisierten Irak‹ sind sie heute völlig bedeutungslos. Auch im ebenfalls ›freien und demokratisierten Afghanistan‹ führen unter westlicher Aufsicht religiöse Minderheiten nach wie vor ein Katakombendasein.
Bislang erzielte die westliche Einmischung in Konflikte eher eine verschärfende Wirkung. Wer Syrien vor dem seit Jahren anhaltenden Bürgerkrieg kennen lernen durfte, kann von einem friedlichen, modernen und gastfreundlichen Land berichten, wer den heutigen Anblick ertragen muss, sieht ein zerrissenes, zerstörtes Land in einem Meer aus Blut und Tränen. Immer wieder erfolgt die Fehleinschätzung der Gegebenheiten. Oder deren bewusstes Ignorieren? Angebliche Kämpfer für Freiheit und Demokratie entpuppen sich nicht selten urplötzlich als fanatische ›Gotteskrieger‹. ISIL in Syrien galt vor drei Jahren als eine Art moderate Opposition, nun mordet diese Terrorarmee sich quer durch den Irak und die Levante. Auch Afghanistan war vor der US-Unterstützung der Mudschaheddin ein eher weltoffenes Land und in Ägypten und im Irak, in Syrien, ja selbst in Libyen, gab es weitgehend inneren Frieden und recht stabile Sicherheit. Heute ist das anders.
Einzig der neue starke Mann in Ägypten, Präsident al-Sisi, ein Ex-General, der sich auf das ägyptische Militär stützen kann, erscheint gegenwärtig stark genug, sein Land eigenständig weiterzuentwickeln. Dabei hätten Neokonservative, wie der US-Amerikaner John McCain, oder Neoliberale, wie der Deutsche Guido Westerwelle, lieber die Muslimbrüder weiter an der Macht gesehen. Letztere hätten natürlich kein vernünftiges Staatswesen zustande bekommen, doch eben deshalb wären sie tiefer und tiefer in die Abhängigkeit ihrer westlichen ›Partner‹ geraten. Und das ist der Sinn der Geopolitik: Macht, Einfluss, Kontrolle, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen. Mit al-Sisi ist das nicht drin. Der hat einen eigenen Willen.
Dass bei der Durchsetzung globaler Machtinteressen selbst die eigenen Werte über den Haufen geworfen werden, ist für die Globalpolitiker und ihrer Chefplaner kein Problem. So wird zur Begründung von Militärinterventionen oft die Durchsetzung der Menschenrechte oder des Völkerrechts vorgeschoben, während man es damit selbst nicht so genau nimmt. Doch der stets pikiert wirkende Durchschnittsverteidiger westlicher Aggressionen wird dem Durchschnittsverteidiger russischer Aggressionen nur sagen: »Wir reden jetzt aber nicht über das Kosovo (als Beispiel).« Eigentlich mag man NIE über das Kosovo (als Beispiel) reden, und wer sich daran nicht hält, ist beinahe ein ›Feind der Demokratie‹. Und so gab es auch nur sehr leise und verstohlene westliche Kritik an der blutigen Niederwalzung der schiitischen Proteste in Bahrain durch das sunnitische Saudi-Arabien. Wie bereits gesagt, der saudische König ist schließlich ein ›guter‹ Diktator.
Also merke: Nach dem Sturz eines ›bösen‹ Diktators setze man unbedingt eine ›gute‹ Marionette ein, die durchaus diktatorische Züge aufweisen darf, sofern diese nicht gegen den Westen und dessen Interessen gerichtet sind. Je schwächer eine Marionette ist, desto besser kann sie kontrolliert werden. Und wenn dann eines Tages dennoch die Fäden zwischen Puppenspieler und Puppe reißen sollten, so kann man den einst nützlichen Holzkopf immer noch irgendwo aufhängen. Bloß keine Hemmungen. Schließlich dient es dem Wohl der Menschheit.
Wir müssen einsehen: Der syrische Präsident Baschar al-Assad ist auf jeden Fall ein böser Despot. Weil er sein Volk unterdrückt und anti-westlich ist. Der saudische König Salman Ibn Abd Al-Aziz dagegen ist ein guter Despot. Weil er sein Volk unterdrückt und pro-westlich ist. Dementsprechend gibt es natürlich auch ›gute‹ und ›schlechte‹ Besatzer. So ist für die Europäische Union die Besetzung von Teilen eines ihrer Mitgliedsstaaten weniger bedeutungsvoll als die Besetzung von ohnehin historisch umstrittenen Gebieten eines Nicht-Mitgliedstaates. Immerhin, Nordzypern wurde von einem NATO-Verbündeten und EU-Beitrittskandidaten besetzt, den besonders das Weiße Haus und das Pentagon gern noch enger an Europa gebunden sähe, die Halbinsel Krim vom ewigen Erzfeind Russland, der sich in seiner Bedeutung gefälligst zwischen den Tälern von Andorra und Mali einordnen soll. Zwangsläufig erscheint dann wohl auch, dass es ›gute‹ und ›böse‹ Landteilungen gibt. Die Ukraine muss unbedingt in ihren Grenzen erhalten bleiben, während von Israel auf jeden Fall ein souveräner Palästinenserstaat abgespalten werden muss. Das vormalige Jugoslawien musste gar in ein knappes Dutzend Staaten aufgeteilt werden, den Kurden steht hingegen kein eigener Staat zu, obwohl sie ein eigenes Volk bilden.
Wer ›gut‹ und wer ›böse‹ ist, welches Volk das Anrecht auf einen eigenen Staat hat, bestimmen längst nicht Logik und Vernunft, nicht einmal das Völkerrecht, sondern globalpolitische und -strategische Interessen. Doch globale Akteure gibt es nur sehr wenige. Man kann sie an den Fingern einer Hand abzählen. Zu nennen wären lediglich die USA, Russland und China - dazu teilweise Frankreich mit seiner Frankophonie. Die EU ist dabei eher die Abnickfraktion der USA. Sie ist kein eigenständiger globaler Akteur im Sinn der Geopolitik. Ehrlich, sie kann ohne Hilfe der NSA nicht mal ihre eigenen Bürger ausspähen. Wirklich lustig ist aber, dass die EU unter den eigenen Sanktionen leidet, während Amerikaner und Russen weiterhin gute Geschäfte miteinander tätigen.
Aber bleiben wir bei der Geopolitik. Beispiel Mittlerer Osten: Zuerst unterstützten die USA den Schah von Persien, der die Opposition unterdrückte, gegen den Irak, der die Opposition unterdrückte. Dann kamen im Iran die anti-westlichen Ayatollahs an die Macht, also wurde der Irak als Statthalterstaat in der Region etabliert. Als die CIA-Marionette Saddam Hussein sich verselbständigte und zur Ex-Marionette verkam, wurde sie gestürzt. Bis zu 600.000 irakische Zivilisten bezahlten diesen Sturz mit ihrem Leben. Da der Iran immer noch von den Ayatollahs regiert wird, blieb nur ein weiteres Engagement im Irak. Doch da kämpft mittlerweile jeder gegen jeden: Kurdenmilizen, sunnitische und schiitische Stammeskämpfer, Soldaten einer schwachen Zentralregierung, die Horden des Terrorkalifats des IS. Längst ermordet oder vertrieben sind die religiösen und ethischen Minderheiten, wie Christen, Jesiden und Drusen, die Saddam Hussein relativ unbehelligt ließ. Im ›freien und demokratisierten Irak‹ sind sie heute völlig bedeutungslos. Auch im ebenfalls ›freien und demokratisierten Afghanistan‹ führen unter westlicher Aufsicht religiöse Minderheiten nach wie vor ein Katakombendasein.
Bislang erzielte die westliche Einmischung in Konflikte eher eine verschärfende Wirkung. Wer Syrien vor dem seit Jahren anhaltenden Bürgerkrieg kennen lernen durfte, kann von einem friedlichen, modernen und gastfreundlichen Land berichten, wer den heutigen Anblick ertragen muss, sieht ein zerrissenes, zerstörtes Land in einem Meer aus Blut und Tränen. Immer wieder erfolgt die Fehleinschätzung der Gegebenheiten. Oder deren bewusstes Ignorieren? Angebliche Kämpfer für Freiheit und Demokratie entpuppen sich nicht selten urplötzlich als fanatische ›Gotteskrieger‹. ISIL in Syrien galt vor drei Jahren als eine Art moderate Opposition, nun mordet diese Terrorarmee sich quer durch den Irak und die Levante. Auch Afghanistan war vor der US-Unterstützung der Mudschaheddin ein eher weltoffenes Land und in Ägypten und im Irak, in Syrien, ja selbst in Libyen, gab es weitgehend inneren Frieden und recht stabile Sicherheit. Heute ist das anders.
Einzig der neue starke Mann in Ägypten, Präsident al-Sisi, ein Ex-General, der sich auf das ägyptische Militär stützen kann, erscheint gegenwärtig stark genug, sein Land eigenständig weiterzuentwickeln. Dabei hätten Neokonservative, wie der US-Amerikaner John McCain, oder Neoliberale, wie der Deutsche Guido Westerwelle, lieber die Muslimbrüder weiter an der Macht gesehen. Letztere hätten natürlich kein vernünftiges Staatswesen zustande bekommen, doch eben deshalb wären sie tiefer und tiefer in die Abhängigkeit ihrer westlichen ›Partner‹ geraten. Und das ist der Sinn der Geopolitik: Macht, Einfluss, Kontrolle, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen. Mit al-Sisi ist das nicht drin. Der hat einen eigenen Willen.
Dass bei der Durchsetzung globaler Machtinteressen selbst die eigenen Werte über den Haufen geworfen werden, ist für die Globalpolitiker und ihrer Chefplaner kein Problem. So wird zur Begründung von Militärinterventionen oft die Durchsetzung der Menschenrechte oder des Völkerrechts vorgeschoben, während man es damit selbst nicht so genau nimmt. Doch der stets pikiert wirkende Durchschnittsverteidiger westlicher Aggressionen wird dem Durchschnittsverteidiger russischer Aggressionen nur sagen: »Wir reden jetzt aber nicht über das Kosovo (als Beispiel).« Eigentlich mag man NIE über das Kosovo (als Beispiel) reden, und wer sich daran nicht hält, ist beinahe ein ›Feind der Demokratie‹. Und so gab es auch nur sehr leise und verstohlene westliche Kritik an der blutigen Niederwalzung der schiitischen Proteste in Bahrain durch das sunnitische Saudi-Arabien. Wie bereits gesagt, der saudische König ist schließlich ein ›guter‹ Diktator.
Also merke: Nach dem Sturz eines ›bösen‹ Diktators setze man unbedingt eine ›gute‹ Marionette ein, die durchaus diktatorische Züge aufweisen darf, sofern diese nicht gegen den Westen und dessen Interessen gerichtet sind. Je schwächer eine Marionette ist, desto besser kann sie kontrolliert werden. Und wenn dann eines Tages dennoch die Fäden zwischen Puppenspieler und Puppe reißen sollten, so kann man den einst nützlichen Holzkopf immer noch irgendwo aufhängen. Bloß keine Hemmungen. Schließlich dient es dem Wohl der Menschheit.
Taras Sirko - 1. Jun, 14:42