Samstag, 8. November 2014

Eine wahre Geschichte

Ich war gerade achtzehn Jahre jung und musste zum ersten Mal im Leben Kasernenwache schieben. Der mir zugeteilte Postenbereich löste damals bei manchen Soldaten einen Kälteschauer aus. In den Nachtstunden galt der schmale Pfad zwischen einem Doppelzaun mitten durch einen dichten Wald als unheimlich. Jemand hatte sich sogar in einem Anfall von geistiger Umnachtung selbst erschossen. Nun stand ich am Startpunkt dieses Pfades und bekam vom Aufführenden, also dem Kameraden, der die Posten ablöst, ein aufmunterndes Schulterklopfen.

Als ich mit mir und der Unheimlichkeit allein war, klemmte ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Es herrschte zwar Rauchverbot auf Posten, aber der richtig gute Soldat ignoriert bisweilen Gebote, die er für unnütz hält, wie er sich auch um unangenehme Dienste herumdrückt. Das Sturmgewehr in Hüftanschlag, die »Kippe« im Mund, bewegte ich mich Schritt für Schritt hinein in eine tatsächlich beklemmende Finsternis. Zuerst hatte ich an einen Scherz geglaubt, den man sich mit mir, dem Neuen, gemacht hatte. Aber da war etwas Ungreifbares. Absolutes Fehlen jedweden Lichts und eine Stille, die nur von noch nie zuvor vernommenen Geräuschen gestört wurde. Wie in einem Gruselfilm. Wie im »Blair Witch Project«. Dennoch ging ich stur weiter. Sturheit ist wohl eine meiner wesentlichen Eigenschaften. Manches Mal wirkt sie wie Entschlossenheit.

Am Ende dieser Finsternis, dieser totalen Abwesenheit von Bekanntem und Vertrautem, gab es eine Alarmausfahrt. Und eine Laterne. Dort erwartete mich bereits der Nachbarposten. Er sagte: »Endlich kommt hier mal jemand an. Die meisten Leute gehen nicht soweit.« Entgegen aller Vorschriften plauderten wir eine Weile miteinander und rauchten eine Zigarette. Dann ging wieder jeder seiner Wege. Den Pfad in umgekehrter Richtung zu beschreiten, war auch nicht angenehmer. Irgendwann wurde ich abgelöst.

Gegen 03:00 oder 04:00 Uhr war ich erneut an der Reihe. Ich war erschöpft und hundemüde. Der richtig gute Soldat kann im Stehen schlafen. Auch im Gehen. Nach einer guten Stunde des Auf- und Abgehens lehnte ich mich einfach an den Maschendrahtzaun und döste vor mich hin - bis mir jemand auf die Schulter tippte! Normalerweise hätte ich mich erschrecken müssen, doch dazu war ich einfach zu müde. Ich taumelte zwei, drei Schritte nach vorn und drehte mich um.

Mitten im Wald saßen drei ältere Herren in Uniform. Reserveoffiziere, nahm ich an, die bisweilen in einem nahe gelegenen Gebäude geschult wurden. Sie saßen auf einer ausgebreiteten Decke, hatten Bier und Lebensmittel dabei und spielten Karten. Ich bekam ein Bier angeboten, reagierte aber nicht.

Denn diese Menschen gab es nicht, so real sie mir in diesem Augenblick auch erschienen. Sie waren eine durch Schlafentzug erzeugte Halluzination. Ich wusste instinktiv, dass ich in diesem geheimnisvollen Waldstück allein war. Also zuckte ich mit den Schultern und setzte meinen Weg in Richtung der Laterne am Ausfalltor fort.

Obwohl ich mir sicher war, einem Trugbild begegnet zu sein, ließ mir der Vorfall keine Ruhe. Tage später ging ich zu besagtem Ausbildungsgebäude und ließ mir Auskunft über die Belegung geben. Meine Beinahe-Gewissheit wurde bestätigt. Seit Wochen war das Gebäude nicht genutzt worden. Irgendwie beruhigend.

In dieser Zeit überkam mich jedenfalls eine Erkenntnis. Sie lautete: »Nimm nicht alles hin, was man dir sagt, selbst dann nicht, wenn du es zu sehen meinst.« Vielleicht ist diese Feststellung der Grund, weshalb ich Konflikte anders bewerte als bspw. Experten für Sicherheitspolitik. Vielleicht bin ich neutraler und habe einen anderen Blick für die Unterscheidung zwischen Realität, Annahme und Wunschdenken. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich entweder sofort eine Entscheidung treffe - oder nie, sofort eine Meinung habe - oder nie. Und ich weiß, dass Bilder trügen können. Um so tiefer dringe ich gedanklich in für mich interessante Geschehnisse ein, bis ich beinahe das Denkmuster eines Gegenübers zeitweilig übernehme.

Erfahrung und Intuition, Logik und Kreativität, besonders auch Neutralität in der Betrachtung und Analyse führen mich oft an Beurteilungen und Schlussfolgerungen heran, die anderen Menschen fremd sind und sogar missverständlich erscheinen, so dass sie Kritik oder gar Ablehnung hervorrufen. Manchmal verwerfe ich sämtliche Bewertungen von Experten - und behalte doch meistens Recht. Weil ich niemandem in seiner (politischen) Haltung folgen muss, sondern frei in meiner Diagnostik bin. Und weil ich JEDE Position hinterfrage, die nicht auf eindeutigen Beweisen beruht. Da kann der Widerstand noch so gewaltig sein.

So einfach ist das ;-)

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