Montag, 1. Juni 2015

Transnistrien I

Entstehung und Geschichte

Das unter dem Namen Transnistrien weitgehend bekannte De-facto-System Pridnestrowye (Republik am Dnestr) entstand Anfang der 1990-erJahre durch die faktische Abspaltung von Moldawien, einer früheren Republik der Sowjetunion. Die völkerrechtlich nicht anerkannte Republik liegt als schmaler Gebietsstreifen zwischen Moldawien und der Ukraine, hauptsächlich östlich des Flusses Dnestr (Dnister). In der Region leben etwa 550.000 meist russischsprachige Einwohner, Hauptstadt ist Tiraspol. Das staatenähnliche Gebilde wird von der Russischen Föderation unterstützt.

Wie kam es zu dieser Abspaltung? Nun, das Szenario erinnert nahezu komplett an Auslöser und Verlauf eines aktuellen Konflikts: die Geschehnisse in der Ostukraine.

In der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien entstanden Mitte der 1980-er Jahre starke nationalistische Tendenzen, die sich an Rumänien anlehnten und sich vorrangig gegen die Stellung der russischen Sprache richteten - eine der damaligen Amtssprachen. Die von Intellektuellen und Reformern gegründete, politisch maßgebliche Partei ›Volksfront Moldawiens‹, ursprünglich modern und demokratisch aufgestellt, wendete sich immer stärker dem rumänisch-moldawischen Nationalismus zu. Nach ihrem Wahlsieg vertrat sie offen eine ultranationalistische Politik, die sich hauptsächlich gegen die russischsprachige Minderheit richtete. Russisch als Amtssprache sollte abgeschafft werden, allein Moldawisch sollte künftig die offizielle Sprache des gesamten Landes sein (Anm.: Russland hat 39 regionale Amtssprachen). Es begann die Rumänisierung des öffentlichen Lebens in Moldawien.

Im Ostteil des Landes führte die Abschaffung der russischen Sprache als Amtssprache zu großen Protesten. Moldawiens Regierung ließ derartige Bewegungen verbieten. Es kam in der Folge zur häufigen Diskriminierung der Minderheiten. Menschen nicht-moldawischer Herkunft wurden aus allen kulturellen Bereichen verdrängt. Die ethnischen Spannungen nahmen zu, die regierende Volksfront Moldawiens forderte die Ausweisung eingewanderter Russen und anderer Minderheiten. Als ein pro-russischer Demonstrant von militanten Nationalisten getötet wurde, gab es eine weitere Zuspitzung des Konflikts.

Die konzentriert in einigen Zentren Moldawiens lebende und dort die Mehrheit stellende, russischsprachige Minderheit, bestehend aus ethnischen Russen, Ukrainern u.a., sah ihre durchaus legitimen Rechte mehr und mehr in massiver Weise bedroht. In Transnistrien schuf der Werkdirektor Igor Smirnov eine Bewegung, die anfangs östlich des Dnestr für die Russischsprachigen ein autonomes Gebiet einforderte. Moldawien lehnte die Autonomie der Region Transnistrien rigoros ab.

1990 konnten Smirnov und seine Partei in Transnistrien deutliche Wahlsiege verbuchen. Die Partei zog ins moldawische Parlament ein. Nach Übergriffen auf transnistrische Abgeordnete, denen die Polizei tatenlos zusah, setzte sich die gesamte Fraktion nach Tiraspol ab. Die Forderungen nach einer Abspaltung des Landesteils wurden nunmehr immer lauter. Zunehmend übernahmen die pro-russischen Aktivisten um Smirnov die Kontrolle über die Region Transnistrien. Als bei einer Demonstration Ende 1990 drei transnistrische Jugendliche von der Polizei getötet und 16 weitere verletzt wurden, eskalierte die Situation.

Eine Volksabstimmung wurde organisiert, etwa 90 Prozent der Teilnehmer sprachen sich für eine Loslösung Transnistriens von Moldawien aus. Noch im selben Jahr erklärte Transnistrien seine Unabhängigkeit. Die Regierung Moldawiens erkannte die Loslösung nicht an und setzte ihre nationalistische Politik fort. Sogar vom Anschluss Moldawiens an Rumänien war die Rede.

1991 wurde Igor Smirnov mit einem Wahlergebnis von 65,1 Prozent der erste Präsident von Transnistrien. Moldawien errichtete daraufhin eine eigene Armee, mit der die abtrünnige Region zurückerobert werden sollte. Waffen und weitere Unterstützung bekam Moldawien aus Rumänien. Auch in Transnistrien bildeten sich daraufhin Milizen zur Abwehr des bevorstehenden Angriffs. Am 1. März 1991 erfolgten die ersten Kampfhandlungen.

Auf der Seite Moldawiens kämpften zahlreiche rumänische Freiwillige, auf der Seite Transnistriens Freiwillige aus Russland und der Ukraine sowie Kosaken. Insgesamt standen 30.000 moldawische Kämpfer 12.000 transnistrischen Kämpfern entgegen. Nach anfänglichen Fortschritten erlahmte die moldawische Offensive angesichts des heftigen transnistrischen Widerstands. Die Grenze, also das Ufer des Dnestr, konnte von den transnistrischen Kämpfern gehalten werden. Lediglich Ortschaften westlich des Flusses gingen verloren. Es entstand eine Pattsituation. Die Stadt Bendery mit ihren 140.000 Einwohnern am Westufer konnte zuerst von den Moldawiern erobert werden, doch vor dem Ende des Krieges nahmen transnistrische Kämpfer die Stadt wieder ein.

Offiziell kostete der Krieg etwa 1.000 Menschenleben, die Mehrheit davon auf transnistrischer Seite. Unter dem Einfluss der russischen 14. Gardearmee unter General Aleksandr Lebed wurden die verfeindeten Parteien schließlich getrennt und ein dauerhafter Waffenstillstand vereinbart. Transnistrien kontrollierte nun weitestgehend das beanspruchte Gebiet, über das Moldawien bis heute jede Kontrolle verloren hat.

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Foto: Soldaten der russischen Friedensmission in Transnistrien

Der Waffenstillstand wurde eingehalten, der Status quo beiderseits weitgehend geachtet. Zwar akzeptiert Moldawien die Abspaltung Transnistriens noch heute nicht, aber die Konfliktlösung hat für die moldawische Politik keine Priorität. Regelmäßig spricht sich Moldawien gegen die Stationierung von rund 1.500 Soldaten der russischen 14. Gardearmee in Transnistrien aus, während die transnistrische Seite deren Anwesenheit als Friedenstruppe fordert und den Verbleib durch eine Volksabstimmung 1995 bekräftigte.

Im Lauf ihres Bestehens konnte die Republik Transnistrien ihre staatlichen Strukturen festigen. Sie verfügt über eine eigene Währung, eigene Pässe und sogar über eine eigene Universität. Es gibt ein Parlament, eine Regierung und einen Verwaltungsapparat. Seit 2001 ist Transnistrien Mitglied der Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten. Bis heute bemüht sich die transnistrische Regierung um eine internationale Anerkennung des Staates. Ein solcher Schritt erfolgte bisher nicht, auch nicht seitens Russlands, das den De-facto-Staat stark unterstützt.

Gedanken und Fazit

Das Völkerrecht stößt bei derartigen Konflikten immer wieder an seine - rein formaljuristischen - Grenzen. Denn es kennt keine Völker im eigentlichen Sinne, sondern Staatsvölker und Staatsgrenzen. Nicht beachtet werden die oft über Jahrhunderte hinweg gewachsenen kulturellen Aspekte, die einstmals ein Volk überhaupt zum Volk gemacht haben, und die historischen Grenzen dieser Völker, innerhalb derer Völker erst entstanden. Die selben oder ähnliche Konflikte gibt es - offen oder latent - überall auf der Welt, zumeist dort, wo Kunststaaten geschaffen wurden, in denen Menschen, die sich religiös, ethnisch und kulturell unterscheiden, ja nahezu fremd sind, auf Biegen und Brechen zusammenleben müssen, ohne dass ihre jeweiligen Eigenheiten auch nur Beachtung finden.

Verschärft durch das um sich greifende Dominanzgebaren und Machtstreben des politischen Westens sowie die Gegenreaktionen der aufstrebenden Staaten, durch die von der Globalisierung in eine immer größere Schieflage geratenen wirtschaftlichen und sozialen Situationen besonders in den armen Ländern dieser Welt, durch ein wachsendes Gefühl der Ungerechtigkeit bei immer mehr Menschen, brechen bislang im Verborgenen schwelende Konflikte, die man längst vergessen glaubte, immer häufiger offen aus.

Wir erinnern uns: Auch in der Ukraine war einer der ersten Konfliktauslöser die Ankündigung der pro-westlichen, ukrainisch-nationalistischen Machthaber, die aus der Landesgeschichte resultierende zweite Amtssprache - Russisch - abzuschaffen. Der russischsprachige Bevölkerungsteil forderte die Akzeptanz seiner historisch gewachsenen Kultur ein und wurde nicht nur überhört, sondern brachial angegangen.

Kann man in den Ländern der westlichen Welt, besonders in Denglish-Deutschland, überhaupt noch die Bedeutung der Sprache für die Menschheit und derer einzelnen Familien verstehen? Hat man noch Verständnis für Menschen, die sich ihrer religiösen, kulturellen und ethnischen Wurzeln nicht berauben lassen wollen und daher Anpassungs-, Assimilierungs- und Ausmerzungsversuchen entgegentreten?

Einmal mehr schreibe ich: Jede Leserin und jeder Leser mag sich die gestellten Fragen selbst beantworten. Der Beitrag ›Transnistrien II‹ wird demnächst Auskunft geben, weshalb ich den Beitrag ›Transnistrien I‹ überhaupt geschrieben habe. Ich fürchte nämlich nicht ohne Bestürzung, dass dieser sogenannte eingefrorene Konflikt demnächst wieder zu neuem Leben erwachen kann.

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