Samstag, 4. Februar 2017

Tief gespalten

Die nachstehende Grafik ist faktisch korrekt. Real betrachtet ist allerdings für etwa 60 Prozent der Einwohner der Ukraine, auch für ukrainische Muttersprachler, das Russische die Verkehrssprache im Alltag. Ich schrieb letztens darüber. Die Spaltung der Ukraine in einen pro-westlichen und einen pro-russischen Teil geht aber weit über die Sprache hinaus. Seit Beginn ihres Bestehens Anfang der 1990-er Jahre ist die Ukraine tief in zwei etwa gleich starke Bevölkerungsanteile aufgespalten. Die Ursachen hierfür beginnen tief in der Vergangenheit. Sie sind ethnischer, religiöser, kultureller und wirtschaftlicher Natur.

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Die blauen Gebiete entsprechen im Wesentlichen dem historischen Neurussland

Beginnen wir nicht ganz so früh. Das Zarenreich war ein bäuerlich geprägter Vielvölkerstaat. Erst nach der Oktoberrevolution anno 1917 begann ein Prozess der Industrialisierung und Elektrifizierung in der jungen Sowjetunion. Der an Bodenschätzen reiche Donbass, beiderseits der heutigen Grenze gelegen, wurde zum wirtschaftlichen Zentrum dieser Phase. Hier entstand am äußeren Rand der bäuerlich geprägten Ukraine mit ihrem national-konservativen Gedankengut eine internationalistische und progressive Arbeiterbewegung. Aber die Interessen von Bergleuten und Stahlwerkern sind nun mal hier wie da andere als die von Grundbesitzern und Bauern. Man entwickelte sich also noch weiter auseinander.

Hinzu kommen ethnische Unterschiede. Während in der Ostukraine neben ethnischen Ukrainern hauptsächlich Kosaken und Russen siedelten, bestand in der Westukraine eine andere Mischung: ebenfalls Ukrainer, dazu Polen, Balten, Rumänen, Österreicher, Deutsche, Ungarn, Slowaken usw. Daraus resultierten auch Glaubenskonflikte zwischen den Katholiken und Anhängern Polens und der Donaumonarchie einerseits und den russisch-orthodoxen Gläubigen andererseits.

Auch während des 2. Weltkriegs waren es hauptsächlich nationalistisch gesinnte Westukrainer, die sich mit den faschistisch-deutschen Besatzern einließen, während die sozialistische Arbeiterschaft im Osten als Partisanen für die Sowjetmacht kämpfte.

Schon zu Zeiten der Zaporosher Kosaken spalteten sich regelmäßig diverse Kosakengruppen ab, denen ein zu großer Einfluss Polen-Litauens suspekt war. Sie siedelten sich frei in der Steppe an und wählten einen Ataman - in Abgrenzung zum polnischen Begriff Hetman. Diese Kosaken waren es auch, die später dem Zaren die Treue gelobten - im Gegenzug für Landbesitz, der bei den Kosaken bis heute Gemeingut ist.

Nehmen wir nur die Stadt Charkov. Gegründet auf Zarenbefehl als Festungsstadt am «Verhau», einer befestigten Grenzanlage, die das befriedete Russland vom sogenannten Wilden Land trennte, ist sie kulturell ebenso russisch wie die gleichsam auf höchste Order des Zaren gegründete Hafenstadt Odessa. Hier und in vielen anderen Orten tickten die Uhren russisch.

Zusammengenommen führten all diese und weitere Gründe dazu, dass zu keiner Zeit ein allgemeines ukrainisches Nationalgefühl entstand. Als die Ukraine in den Wirren des Niedergangs des Sowjetreichs staatliche Souveränität erlangte, übrigens erstmals in ihrer Geschichte, blieben die Konflikte völlig unbeachtet. Aber sie schwelten im Verborgenen weiter.

Sie kamen nur deshalb nicht sofort zum Ausbruch, weil niemand sich vorstellen konnte, dass eines Tages einer der beiden Bevölkerungsteile das enge Band der Ukraine, das im Osten und Südosten besonders stark gewebt war (und ist), zur Russischen Föderation zerschneiden würde.

Doch eben das geschah. Nun brachen die schwelenden Konflikte offen aus und entluden sich in einem blutigen Bürgerkrieg. Die tragische Ironie der Geschichte: Auch heute unterstützen europäische Mächte und Russland ihre jeweiligen Anhänger von einst. Wer einerseits die Massen auf dem Maidan zusätzlich aufputscht, darf sich nicht wundern, dass die Gegenpartei ebenso reagiert.

Wie auch immer, den Menschen in den nicht anerkannten Volksrepubliken von Donezk und Lugansk kann nicht mehr zugemutet werden, in den Verbund der Ukraine zurückzukehren, Unantastbarkeit von Grenzen hin oder her. Würde denn London seine Truppen in Marsch setzen, wenn Schottland sich von Großbritannien löst? Oder würde Spanien Katalonien bombardieren? Oder würde Frau Merkel einen blutigen Vernichtungskrieg gegen abtrünnige Bayern führen? Sicherlich nicht.

Warum aber geschieht dies in der Ostukraine?

Dieser kurze Überblick muss vorerst ausreichen. Für mich bleibt das Hauptaugenmerk auf das aktuelle Geschehen gerichtet. Da bleibt mir leider keine Zeit für lange Abhandlungen über die Geschichte der Rus.

Man möge es mir nachsehen.

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