Mittwoch, 22. Oktober 2014

Korrekt bis zur Unvernunft! (3)

In gut fünf Wochen beginnt die Adventzeit. Eigentlich eine Zeit der Besinnung und der freudigen Erwartung der Menschwerdung Gottes. Spätestens Ende November werden wieder Zonen eingerichtet: christkindfreie, weihnachtsmannfreie, sonstige. Wieder einmal wird über abstrakte Gebilde diskutiert, die zunehmend den traditionellen Christbaum ersetzen, wieder einmal wird der ursprüngliche Inhalt des Weihnachtsfestes verzerrt oder ignoriert. Für den Handel ist immer Weihnachten - oder Ostern -, für den linken Liberalen nie.

Die gleichen Leute, die ihre Mitmenschen zum Besuch des islamischen Fastenbrechens oder zum Schnupperkurs in einer Moschee drängen, werden dann ein weiteres Mal über die Kirchgänger ablästern, Weihnachten generell für sich vereinnahmen und die Leute mit einer besonderen Frage nerven: »Ist Weihnachten zeitgemäß und beleidigt es Andersgläubige?«

Die meisten Andersgläubigen sehen sich nicht verletzt. Für die Muslime ist Isa (Jesus) zumindest ein Prophet. Sogar jener, der Gott am nächsten war. Soweit geht der ›Wohlmeinende‹ natürlich nicht. Er ist schließlich islamophil und kennt diese Religion besser als die Muslime selbst. Dennoch. Es könnte ja sein, dass wenigstens die Salafisten sich an Weihnachten stören. Nennen wird das Ganze doch besser ›Jahresendfest‹. Damit kann jeder leben - außer die Christgläubigen, aber die sind ja sowieso böse.

Der Schutz von Minderheiten ist wichtig. Aber bei bestimmten Menschen scheint er einher zu gehen mit der Verleugnung der eigenen Kultur. Aus Rücksicht wird Rückzug, aus kultureller Vielfalt wird kulturlose Einfalt.

Der Wohlmeinende als Friedensstifter

Für den Frieden zu beten macht Sinn, weil das Gebet sich an eine höhere Macht richtet: an Gott. Sich für den Frieden mit dem Hintern in den Schnee zu setzen, bringt höchstens eine Erkältung ein. Der wohlmeinende Herr Augstein beschwerte sich gestern in der ARD-Sendung ›Menschen bei Maischberger‹ darüber, dass man über Frau Käßmanns Ansicht, der Terrorarmee IS oder den Taliban mit friedlichen Mitteln zu begegnen, nur noch lacht. Nun bin ich wirklich nicht für Hunderte Militäreinsätze des Westens rund um den Globus (in der Ukraine lehne ich aus historischen Gründen jeden Einsatz deutscher Soldaten rigoros ab), aber in äußerster Not, wenn es um Leben und Tod einer gesamten Ethnie geht, bleibt leider selten eine andere Möglichkeit.

Mal ehrlich: Kann man den verfolgten Christen und Jesiden wirklich helfen, indem man sich auf den Asphalt der Ausfahrt einer US-Kaserne setzt oder mit einem Teelicht in der Hand rund um ein Rathaus läuft? Bleiben wir ehrlich: Das macht man doch eher zum eigenen Wohlbefinden. Denn geholfen ist damit niemandem. Keine während eines Polit-Talks geäußerte Meinung rettet ein Leben. Aber die Verweigerung von unmittelbarem Beistand hilft bei der Vernichtung von Leben.

Natürlich ist die gesamte Staatengemeinschaft gefordert. Hinsichtlich der IS-Terrortruppe stehen besonders auch die Nachbarn Syriens und des Irak in der Pflicht. Leider funktioniert es nicht. Für die Türkei passt jeder getötete Kurde ins politische Kalkül, für den Iran jeder tote Sunnit und für jeden Saudi ein toter Schiit. Christen, Juden, Jesiden, Drusen, Alawiten usw. scheren überhaupt niemanden. Wer bleibt also übrig?

Gewiss, im atheistischen Schema des Linksliberalismus spielt die Religionszugehörigkeit nur eine Rolle, wenn sie zwei Faktoren erfüllt: Es muss eine nichtchristliche Religion sein und die muss in Europa eine Minderheitenreligion sein. In Europa, wohlgemerkt. Europa ist die ›eigene Haustür‹, die so gern bemüht wird.

Kommt nun ein Kopte und Assyrer nach Deutschland, verdient er keinen besonderen Schutz - weil er der christlichen Mehrheit (ja, es gibt sie noch) angehört, obwohl er wegen der Zugehörigkeit zu einer Minderheit aus seiner Heimat fliehen musste. Linksliberale ›gutmenschliche‹ Logik. Da darf es nicht verwundern, wenn eine christliche Flüchtlingsfamilie zwischen fünfzig ›zornigen, jungen muslimischen Männern‹ untergebracht wird - und damit von einer Notlage in die nächste stolpert.

Mit Volldampf in die Unterhose

Der ›Wohlmeinende‹ hat konkrete Vorstellungen, mit wem man es gut zu meinen hat und mit wem nicht. Der Normalbürger mit seinen Sorgen und Nöten ist nicht von Interesse. Zu früheren Zeiten kümmerten Linke sich um Lebens- und Arbeitsbedingungen, Sozialstaatlichkeit, Rechte von abhängig Beschäftigten und soziale Gerechtigkeit. Heute, nachdem mehr und mehr der Linksliberalismus den Sozialliberalismus abgelöst hat, geht es hauptsächlich mit Volldampf hinein in die bunte Welt der saturierten Salonsozialisten der Stadtrand-Villenviertel und urbanen Lofts - und unter die Gürtellinie.

Zu meinen schönsten Erlebnissen gehört ein Sommer anfangs der 1990-er Jahre in einer Siedlung der Sibir-Kosaken in der Nähe (250 km! entfernt) von Omsk. Nach knapp zwei Wochen war ich voll integriert, trug blaue Hosen mit roten Vorstößen und lernte viel Herzlichkeit und Brüderlichkeit kennen. Als ich dies mal bei facebook erwähnte, kam ich keine drei Sätze weit. Dann die Frage: »Und was ist mit den Schwulen?« Tut mir leid, ich bin dort keinem begegnet. Allerdings fand ich die Frage völlig deplaciert.

Dem ›Wohlmeinenden‹ - so mein Fazit - erscheint es suspekt, wenn jemand nicht rund um die Uhr und von der Geburt bis zum Sterben mit den Befindlichkeiten von Menschen konfrontiert sein möchte, zu denen man einfach nur keinen Bezug hat, ohne sie deshalb zu hassen, zu verurteilen oder zu diskriminieren. Suspekt, und damit gefährlich anders, weil man nicht gehirngewaschen werden möchte, eine eigene Meinung hat und sich an irgendeinem anderen Ort der Welt wohler fühlt als unter belehrwütigen Allerweltspropagandisten.

So sei der Dichter der Freiheit, Friedrich Schiller, zitiert: »Was nicht zusammen kann bestehen, tut am besten, sch zu lösen.« Zumindest gedanklich muss das in einer freiheitlichen Gesellschaft möglich sein. Der Staat und die Gesellschaft können von den einzelnen Menschen Verfassungs- und Rechtstreue erwarten, nicht aber eine Einheitsmeinung. Freiheit besteht auch in der Wahlmöglichkeit zwischen Zustimmung und Ablehnung. Es überschreitet die Einforderung von Toleranz, wenn man sämtliche Ansichten und Neigungen anderer für gut und richtig zu halten hat, anstatt sie nur zur Kenntnis zu nehmen.

Denn wir alle sind nur ein Einzelner, ein Individuum und Mensch - und damit eine schützenswerte Minderheit mit dem Anspruch auf Respekt. Gerne gewähre ich meinen Mitmenschen diesen Anspruch und bemühe mich stets um das Verstehen anderer Positionen, ohne sie pauschal zu akzeptieren. Keinesfalls möchte ich jemanden kränken, verletzen oder beleidigen. Gleichzeitig muss ich nicht jeder Sichtweise folgen. Daher benötige ich keine ›wohlmeinenden‹ Belehrungen selbsternannter Oberlehrer - schon gar nicht bis in die Privatspähre hinein.

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