Samstag, 22. November 2014

Die Sicht eines »Gedienten«

»Im Krieg waren die Kennzeichen des idealen Soldaten Stärke und Mut, Großmütigkeit gegenüber dem unterlegenen Feind und Mitleid gegenüber dem Wehrlosen.« Das sagte einst der Physiker Max Born. Und weiter: »Nichts davon ist übriggeblieben. Moderne Waffen der Massenvernichtung lassen keinen Raum für irgendwelche sittlich begründeten Einschränkungen und degradieren den Soldaten zu einem technischen Mörder.«

Damit hat er weitestgehend Recht. Die Mittel der Kriegführung sind heute barbarischer denn je. Ich persönlich habe mich dermaleinst bewusst für die Infanterie entschieden, weil ich der Ansicht war, in dieser Waffengattung die von Born aufgezählten Tugenden am besten verwirklichen zu können, falls es eines Tages nötig werden würde.

Soldatsein ist eine Berufung, kein Job wie jeder andere. Wer diese Berufung nicht verspürt, sondern lediglich eine spannende und interessante Aufgabe sucht, kann diese auch in einem Zivilberuf finden. Im Ernstfall erspart er seinen Kameraden möglicherweise zusätzliche Probleme. Der »Staatsbürger in Uniform« ist eine Mär, deren Prinzipien keine größere Streitmacht innerhalb und außerhalb der NATO übernommen hat, und die besonders Deutschland militärisch ins untere Mittelfeld rückt. Ohne moderne Technik ist der Kampfwert der Bundeswehr recht gering. Deshalb benötigt sie bspw. bewaffnete Drohnen. Sie müssen die mangelhafte konventionelle Kampfkraft kompensieren. Doch man geht damit einen weiteren Schritt auf dem Weg vom Kämpfer zum »Töter«.

Wer da jetzt den Halbtags-Drohnenlenker auch noch zum Idealtyp des »durch-und-durch-zivilisatorischen Soldaten« erhebt, ihn gar zum Helden verklärt, der weiß (gottlob!) nicht, was Krieg ist. Krieg besteht aus Sterben und Verstümmelung, aus Schmerz, Leid und Verzweifelung, aus Blut, Eiter, Tränen und Dreck. Da gibt es nichts sittlich Erhebendes. Schon gar keinen Raum für Abgehobenheiten. Und dieses ewige Debattieren der tatsächlichen und selbsternannten Moralinstanzen über Mord oder Nichtmord ist für die im Kriegszustand befindlichen Menschen einfach nur müßig. Sobald jemand auf mich schießt und mich verfehlt, habe ich exakt drei Möglichkeiten: Entweder ich schieße zurück, oder ich laufe weg, oder ich mache gar nichts. Ich für meine Person würde zurückschießen. Weil ich überleben will.

Verantwortlich für das Schießen ist nicht der einzelne Soldat, sondern dessen politischer und militärischer Befehlshaber (abgesehen von der Ausführung rechtswidriger Befehle, da greift maximal der Befehlsnotstand). Der Soldat entscheidet lediglich darüber, ob er für die Ausübung dieser Tätigkeit grundsätzlich in der Lage ist - oder ob er doch lieber wieder ins Zivilleben zurückkehrt. Und nicht der deutsche Soldat entscheidet über Krieg und Frieden, sondern der Deutsche Bundestag.

Kommen wir zur Motivation. Wofür ist der Soldat bereit zu kämpfen? Nach wie vor am ehesten für sein Heimatland und für die Menschen, die ihm wichtig sind. Früher hätte man gesagt: für Heimat und Nation, für Vaterland und Muttersprache. Aus historisch nachvollziehbaren Gründen werden all die eben genannten Begriffe als »unwürdig« dargestellt, aber gleichzeitig werden so die Hauptmotive des Soldaten deklassiert. Oder man kämpft, weil einem das Kämpfen einfach »im Blut« liegt. Die Geschichte zeigt, dass zahllose Kämpfer für Werte und Ideologien heute herabgewürdigt werden, weil ihre Werte und Ideale sich überholt haben. War der deutsche Ubootfahrer mit dreißig Feindfahrten kein Held? Der russische Infanterist, der das Weiße in den Augen seiner Gegner sah? Der polnische Ulan, der deutsche Panzer mit dem Säbel attackierte? Oh doch! Denn Heldentum entsteht nicht durch die politische oder ideelle Zugehörigkeit oder willkürliche Zuordnung des Einzelnen zu irgendeiner Seite, sondern - wenn überhaupt - durch das Praktizieren persönlicher Tugenden. Die Aufgabe des verantwortungsbewussten Befehlshabers oder Kommandeurs besteht in der Förderung dieser soldatischen Tugenden, nicht im Seelentätscheln mäßig wehrhafter Idealisten und Ideologen.

Westliche Werte sind für die meisten Menschen im Westen zur Selbstverständlichkeit geworden, wenn in Einzelfällen nicht gänzlich unumstritten. Aber sie werden wertlos, wenn sie den Mehrheitsgesellschaften im Norden, Süden und Osten aufgedrängt werden sollen, wenn mit den ideellen Werten die kommerziellen Aspekte Hand in Hand einhergehen und wenn andere Kulturen und Sitten vernichtet oder den westlichen Strukturen und Vorstellungen angepasst werden. Leider werden heute die Soldaten leichtfertig dazu missbraucht, diese »Anpassungen« vorzunehmen.

Doch mehr als 90 Prozent der in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrangehörigen haben von ihrem Einsatzgebiet kaum mehr gesehen als das Feldlager und vielleicht die Berge im Hintergrund. Nur sechs bis acht Prozent der Soldaten agierten außerhalb der Camps. Ebenso hoch ist die Rate der an posttraumatischen Belastungsstörungen leidenden Soldaten. Viele »bewaffnete Verbreiter« von westlichen Werten sind heute völlig desillusioniert. Es hat sich kaum etwas zum Guten gewendet, und der Abzug aus Afghanistan bzw. die geringen Erfolge überhaupt, wird von nicht wenigen Soldaten als militärische Niederlage betrachtet. Das zerrt und nagt zusätzlich am ohnehin angekratzten Selbstverständnis.

Zivilisiertheit, liebe Thea Dorn, ist keine Frage des Berufes. Man ist zivilisiert oder man ist es nicht. In dieser Beziehung unterscheiden Soldaten sich nicht von der zivilen Bevölkerung. Miguel de Cervantes war Soldat, Joseph Goebbels war Zivilist. Zivilisiert war nur der Erstgenannte. Gerade während meiner aktiven Dienstzeit beim Militär habe ich mich ausgiebig mit griechischer Mythologie, Renaissancemalerei, antiken Rechtsgrundsätzen und sehr vielen anderen Dingen (sowie mit Mädels und Sport) beschäftigt. Weil ich zwischen stressigen Momenten genug Zeit dazu hatte.

Aber zum Thema »Töten und Töten lassen« kann ich indes nichts umwerfend Wichtiges und Gelehrtes beitragen. Als Soldat muss man grundsätzlich zu beidem bereit sein. Doch letztlich geht es nicht darum, ob man als Soldat töten oder sterben will, sondern um Kampf. Um Krieg. Und diesen will man überleben. Irgendwie.

1. Maulender Autor
2. Kasinogespräche
3. Zeitgeschehen
4. Nazis gegen rechts
Akte Bundeswehr
Akte Unsinn
Akte Weltordnung
Elsa fragt den Soldaten
Russischer Frühling
Sirkos Staniza
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren