Mittwoch, 1. Oktober 2014

Die Macht der Bilder

Heute hat die TV-Anstalt ARD erstmals Fehler in ihrer Ukraine-Berichterstattung eingeräumt. Vorangegangen war harsche Kritik eines eigenen Aufsichtsgremiums und zahlreicher Zuschauer. Zusammen mit den Berichten anderer Medien, besonders des ZDF, wurde auch bei mir selbst der Eindruck erweckt, als wäre das Reichspropagandaministerium zeitweilig wiederbelebt worden. Denn die allermeisten Berichte und Kommentare entsprachen einer äußerst selektiven Wahrnehmung der Journalisten. Unkritische Hofberichterstattung vom Feinsten.

Gestern wurde nun von durch Zivilisten und Separatisten entdeckten ›angeblichen Massengräbern‹ in der Ostukraine gesprochen. Tatsächlich angeblich? Nein, wer sie sehen möchte, kann sie sich anschauen. Ohne eine solche Vergewisserung bleibt leider in den Köpfen nicht weniger Menschen nur das Wort ›angeblich‹ hängen. Und das »Der Iwan lügt.«

Nun, ich persönlich bevorzuge bei meinen seltenen öffentlichen Ausführungen über Krieg und Terror die Verwendung von Zahlen, Fakten und Schlussfolgerungen. Ich schrecke auch nicht davor zurück, meinen wenigen Leserinnen und Lesern - sehr selten - ein grausames Foto zuzumuten.

Warum habe ich bspw. das Bild einer gefallenen pro-russischen Separatistin gepostet? Eine Provokation oder Parteinahme? Nein. Um zu zeigen, dass Krieg nicht nur aus Friedenskonferenzen besteht, über die unsere Journalisten am liebsten berichten (da muss man nur nachplappern). Damit wäre Punkt 1 der modernen Kriegsberichterstattung, nämlich die Nichtkriegsberichterstattung, auch schon abgehakt.

Punkt 2 ist die frappierende Unkenntnis militärischer Zusammenhänge. Diese sorgte, sobald es in der Ostukraine Erfolge für die Separatisten gab, u.a. für das ständige Bemühen russischer Panzerkolonnen. Kann ja nicht anders sein, sagt sich der einstige Zivildienstleistende, Bundeswehrkellner (Augstein) und Geheimdokumentenkopierer (Blome). Falsch gedacht.

Der 3. Punkt ist das Verschweigen von Opfern. Man zeigt sie nicht, um die Mär vom ›sauberen Krieg‹ aufrecht zu erhalten. Krieg besteht heute aus Konferenzen, Außenminister-Statements und Ethikdebatten aus sicherer Entfernung, aus mutmaßlich sinnlosem Bomben und Ballern, und der moralischen Beanstandung von gezeigten Schreckensbildern, auf denen man die Opfer sieht.

Immerhin hat das schonungslose Berichten über die Gräueltaten der Terrorarmee Islamischer Staat (IS) für ein überraschendes Umdenken gesorgt: erstmals seit Jahrzehnten des verantwortungslosen Totalpazifismus spricht sich eine Mehrheit der Deutschen für eine Bekämpfung des Terrors mit militärischen Mitteln aus. Dies ist nicht zuletzt der ›Erfolg‹ der Konfrontation der Mediennutzer mit dem Schrecken, der durch die gezeigten Bilder erzeugt wurde.

Nein, man darf nicht vergessen, wie sehr der moderne Mensch den visuellen Eindrücken unterliegt und wie wenig Begeisterung endlos lange und hochgestochene Texte bei der Bevölkerung hervorrufen. Ich bin der Ansicht, ohne die Darstellung der Gräueltaten der IS würde noch immer die Käßmann-Doktrin vom Teelicht-Friedensprozess sieggekrönt sein.

Die Menschen in den Terror- und Kriegsgebieten erleben die Grausamkeit gewiss nicht in den deutschen Qualitätsmedien mit, sondern erfahren sie am eigenen Leibe. Längst geht es dem internationalen Terror-Islamismus nicht um Abschreckung der deutschen Sekt- und Kaviarkonsumenten, sondern um die Bildung von Scharia-Staaten am Ort seines Agierens. Besonders der IS hat keinerlei Ambitionen auf Terroranschläge im Westen. Dafür gibt es Khorasan - oder auch nicht.

Aber die Bilder erhöhen die Bereitschaft, den Bedrückten und Verfolgten, den Vergewaltigten, Gefolterten und Vertriebenen beizustehen. Diskussionen über Moral und Ethik erreichen dieses Ziel hingegen allerhöchstens bei einer Minderheit.


P.S.: Wegen all dessen wäre ich als Journalist ein Totalausfall. Ich kann zwar die militärische Lage bewerten (wofür ich die Benutzung kürzester Texte und einer Landkarte bevorzugen würde), aber gewiss nicht einschätzen, was Wladimir Putin gerade denkt oder nächstes Jahr tun wird. Kann Letzteres überhaupt jemand? Und falls ja, weshalb liegen die meisten Experten dann so oft daneben (nicht nur in Bezug auf Putin)? Vielleicht geht während der endlosen Debatten und beweisfreien Mutmaßungen der Blick für das Wesentliche verloren, für das, was man sehen kann - wie auf einem Foto.

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