Mittwoch, 8. Februar 2017

Im Reich der Extreme

Wir leben in einer Zeit der Extreme. Die Zeit der Kompromisse zwischen mehreren Gruppierungen mit unterschiedlichen Interessen gehört vorläufig der Vergangenheit an. Sieg oder Niederlage, Alles oder Nichts - das ist die neue Form der «demokratischen Willensbildung». Gepriesen oder gehasst, je nach Farbe und Schattierung, wird der aktivste Vorkämpfer der Kompromisslosigkeit des eigenen oder des gegnerischen Lagers. Erlaubt scheint, was zum Ziel führt.

Ein aktuelles Beispiel: Der extremen Ablehnung des Fremden, die keine Unterscheidung zulässt, steht in Deutschland eine extreme Zuneigung zum Fremden, die ebenfalls keine Unterscheidung zulässt, in absoluter Feindseligkeit gegenüber. Die Abwägenden, die Unterscheidenden, die es schließlich auch noch gibt, werden zwischen diesen beiden Mühlsteinen nach und nach zerrieben. Sie werden dem jeweiligen Feindbild zugeordnet - und mit diesem bekämpft.

Es ist die Welt der «alternativen Fakten», in denen Personalien und Emotionen mehr bewirken als Argumente. Was im Inland gilt, gilt auch global. Schiebt Barack Obama 2,5 Millionen Mexikaner ab, jubelt die westliche Welt, kündigt Donald Trump die Abschiebung von einer Million illegaler Zuwanderer an, wird er als Rassist gebrandmarkt. Die Sympathie zählt, nicht das Handeln. Und einem beliebten Friedensnobelpreisträger, der noch dazu schwarz ist, sieht man den Abwurf von rund 26.000 US-Bomben allein im Jahr 2016 gerne nach.

Postfaktisch ist auch die Ansicht, Russland würde an der Wiederherstellung der bipolaren Welt des Kalten Krieges arbeiten. Diese Meinung beweist einen Tunnelblick mit Übersteigerung des überholtes Freund-Feind-Schemas. Denn man vergisst geflissentlich andere global wichtige Akteure, die weder auf der einen noch auf der anderen Seite stehen, aber von enormer Bedeutung sind: China, Indien, Brasilien bspw.

Dies sind nur einige wenige Denkanstöße. Bei Gelegenheit oder drängender Aktualität werden weitere folgen.

Noch ein paar Sätze in eigener Sache:

Mein Anspruch ist es nicht, alle Facetten des Bürgerkrieges im Donbass abzubilden. Dafür fehlen mir die Mittel und Möglichkeiten. Mein Ansinnen ist es vielmehr dafür zu sorgen, dass auch die andere Seite, die in den Medien unterproportional vertreten ist und zudem stets negativ bewertet wird, zu Wort kommt. Dafür werte ich Dutzende Quellen aus, dafür informiere ich mich bei Menschen vor Ort und bei Korrespondenten in den Krisengebieten.

Sicherlich könnte ich in Donezk ein paar Menschen finden, die nicht Poroshenko für ihr Leid verantwortlich machen, sondern Zaharchenko oder Putin. Doch würde ich in Deutschland niemanden finden, der Merkel für den Terroranschlag in Berlin verantwortlich macht? Oder für Altersarmut und verwahrlosende Infrastruktur? Aber kann man von diesen Einzelnen auf das Gesamte schließen?

Auch darüber sollte man mal nachdenken.

Letzte Aufnahmen

Die nachstehenden Fotos gehören zu den wohl letzten Aufnahmen vor seinem frühen Tod: Oberst Michail Tolstych bei der Auszeichnung seiner Kämpfer für ihren opfermütigen Einsatz in der Kesselschlacht von Ilovaysk im Dezember 2016.

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In russischen und neurussischen Medien mehren sich Berichte, nach denen die Ermordung des Obersten angekündigt war. Nach diesen sollen die Oberhäupter der nicht anerkannten Volksrepubliken, Zaharchenko und Plotnitski, seitens der Kiewer Regierung zum Aufgeben aufgefordert worden sein, ansonsten würden sämtliche Anführer getötet. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ukrainische «Patrioten» von einem «guten Tag» sprechen.

Givi war der populärste Milizkommandeur in der jungen Donezker Volksrepublik. Für zahllose Menschen eine lebende Legende. Er gehörte im Rahmen des «Russischen Frühlings» zu den ersten Kämpfern, die sich dem Schutz der Bevölkerung des Donbass vor ukrainischen Strafaktionen verschrieben hatten.

Tod den Helden!

»Siehst du einen deutschen Helden, so schlag ihn tot!«, gab dermaleinst ein prominenter Grünenpolitiker von sich. In Russland und anderen östlichen Ländern sieht man es traditionell anders. Heldenmut und militärische Tapferkeit stehen bei den Menschen dort hoch im Kurs, sie werden geachtet, geschätzt und verehrt. Bei den alljährlichen Siegesparaden in Russland präsentieren sich, umringt von den Jüngeren, die Veteraninnen und Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges mit ihren Orden und Medaillen, und für einen Tag ist alles andere vergessen. Für einen Tag sind sie die Helden von einst.

Nimm also den Menschen im gegnerischen Lager deren Helden, so eine perfide politische Denkweise, mach den Verzagten gleich mit dem Tapferen, den Schwachen mit dem Starken und den Geführten mit dem Anführer, und du zerstörst den Widerstand deiner Gegner. Doch im Donbass wird die Rechnung ohne die Menschen gemacht. Andere treten an die Stelle der Gefallenen und Gemordeten und führen deren Vermächtnis mit der gleichen lodernden Inbrunst fort.

Eine lange Reihe von Menschen, die bei den Mehrheiten ihrer Bevölkerungen Idole und Helden waren, sind bereits unter noch immer ungeklärten Verhältnissen ums Leben gekommen: Aleksandr Bednov, Evgeniy Ishchenko, Aleksey Mozgovoy, Pavel Dremov, Arseniy Pavlov und nun Michail Tolstych. Einige der Genannten hatten viele Feinde, andere nur einen. Und wenn es bei anderen Morden Zweifel an der Täterschaft gab, wenn es mehrere Optionen gab, so besteht doch bei Pavlov und Tolstych ein glasklarer Unterschied: Beide hatten keine Feinde im Inneren.

Es gibt ein Schema: Mit Versprechungen und Zusagen, die oft genug haltlos sind, kauft man den Kleinmütigen der Völker ihre zuvor geschätzten Idole ab, für den geringsten persönlichen Vorteil, oder auch nur für die Möglichkeit dazu, verrät der Mitläufer seine einstige Sache - und seine einstigen Ideale. Das ist das neue Wesen vieler moderner Gesellschaften, die keine Traditionen und keine althergebrachten Tugenden mehr kennen. Es sind die Ehrlosen, die Feigen dieser Welt, die entsprechend handeln.

Doch der Donbass ist anders. Weil Russland anders ist. Jeder hinterhältige Mord treibt die Menschen in der umkämpften Region weniger in die Verzweiflung, dafür vielmehr auf die Barrikaden. Bei diesen fernen, unbekannten Nachbarn im Osten gelten seit jeher das Militär und dessen Tugenden sowie Bildung und Erziehung als die tragenden Säulen einer sich mehrfach gewandelten Gesellschaft.

Man kann die neurussischen Milizen nicht schwächen, schon gar nicht entmutigen, indem man ihre Kommandeure ermordet. Im Gegenteil, der Zorn und der Wunsch nach Rache werden sie härter kämpfen lassen als je zuvor. Mit jedem Gefallenen steigt der Wille zum Sieg.

»Работы, братья!«, heißt nach jedem neuen schmerzlichen Verlust die Parole im Donbass. »Arbeitet, Brüder!« So wird es auch diesmal, nach dem Anschlag auf Michail Tolstych, sein. So, wie es immer war.

Deswegen liebe ich diese Menschen, deswegen liegen sie mir so sehr am Herzen!

Traurige Pflicht

In den heutigen Morgenstunden, exakt um 06:12 Uhr Ortszeit, detonierte in einem fünfstöckigen Gebäude in Donezk ein Sprengsatz. In den Tod gerissen wurde gezielt der Oberst der Donezker Volksmiliz Michail Tolstych, bekannt unter seinem Funkruf «Givi», Kommandeur des Panzerbataillons mit Brigadestatus «Somali».

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Seinen besten Freund Arseniy Pavlov sollte er nur um wenige Tage überleben. Weder erlebte er noch den ersehnten Sieg über den ukrainischen Kapitalfaschismus noch die Zeit des friedlichen Wiederaufbaus seiner Heimat. Das heimtückische Wirken von Kiewer Saboteuren beendete Michails kurzen Lebensweg mit der Abruptheit eines tödlichen Attentats.

Lieber Michail, möge dir die Erde leicht sein.

Вечная память.
stgeorgsband

PS - Bei neuen Erkenntnissen mehr.

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